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Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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wer sie waren und wer sie sind und warum sie hier seien. Am Hals hätten sie noch die Wunden von dem groben Strick, ihre Seelen schwebten irgendwo in der Ferne – sie wüssten nicht wo – und warteten auf einen Akt der Gerechtigkeit oder der Barmherzigkeit, der sie mit ihrem Leib wieder vereinigen würde, sei es im Himmel oder in der Hölle. Dann würde es George Noel Gordon Lord Shaftoe wie Schuppen von den Augen fallen. Und das Bild, das sich ihm bot, würde aus den Nebeln der Zeit die Furien der Alten heraufbeschwören, die ihn packen und mit namenlosen Qualen quälen würden. Kitty verspürte große Lust, das zu erleben.
    Und beinahe ohne Pause setzte sie den begonnenen Satz fort: »Aber da Sie so freundlich waren, meine Bücher zu lesen, steht es mir nicht an, mich selbstsüchtig zu verhalten. Bitte, gehen Sie voran. Doch seien Sie vorsichtig. Einige Stufen sind wacklig. Ich möchte nicht, dass Sie sich den Hals brechen.« Als sie sich das bildlich vorstellte, konnte sie ein Lachen nicht unterdrücken. Ein Lachen, von dem siehoffte, es würde ihm nicht so klingen, wie es ihr klang: wie das schadenfrohe Gelächter einer Hexe.
    »Es ist mir eine Ehre.« Natürlich empfand er das durchaus nicht so. Ihm wurde lediglich gewährt, was ihm ohnehin zustand. Er stammte von den Shaftoes ab. War selbst ein Shaftoe. Und ein Shaftoe zu sein, bedeutete keineswegs, wie es ein unehrerbietiger Bekannter einmal gesagt hatte, ein Haufen Scheiße zu sein. (Gab es eine Tür, die verschlossen blieb, sobald nur sein Name genannt wurde?) Und so begann Seine Lordschaft den Aufstieg.
    »Hier also bringen Sie Ihre Wunderwerke zustande«, bemerkte er mit einem selbstgefälligen Lächeln.
    »Sie sind wirklich sehr freundlich«, sagte Kitty.
    Der Lord erlaubte seiner Nase und seinen Lippen, einen summenden Ton zu produzieren und Kitty damit anzudeuten, dass er ganz ihrer Meinung sei. »Darf ich fragen, woran Sie gegenwärtig arbeiten?«
    »An einem Buch«, erwiderte Kitty.
    »Das hätte ich mir denken können.« Rasch begab er sich zu der enger werdenden Treppe, die zu Brid und Taddy führte. Bevor er einen Fuß auf die erste Stufe setzte, fragte er beiläufig: »Wird das Buch ebenso gut werden, wie Ihr Werk
In the Forest

    Ihre Gesichtszüge erstarrten. »
In the Forest
ist von Edna O’Brien.«
    »Wirklich? Hätte ich nicht gedacht.« Er ging die Stufen hoch. »Führt diese Treppe auch auf die Plattform oben auf dem Turm? Ich möchte die Aussicht genießen. Sie werden das gewiss verstehen.«
    Kitty verstand es. Er wollte an der Brustwehr stehen und alles als sein eigen verkünden, über das sein Blick schweifte. Das sollte sie ihm gestatten, meinte sie, um ihn auf jede nur denkbare Enttäuschung vorzubereiten, wenn es sich herausstellte, dass, so sehr er sich auch als Shaftoe fühlte,die Burg Kitty gehörte und gehören würde, bis sie ihre kümmerlichen Überreste der Erde überantwortete, aus der sie geworden war. Ja, er sollte sich sattsehen. Doch zuerst waren Taddy und Brid dran.
    Kitty hätte es wissen müssen. Sie waren wirklich da, er mit der Harfe, sie am Webstuhl. Doch nur ihr und Kieran war es gestattet, mit Augen von Sterblichen die leibhaften Geister zu sehen, die gegenwärtig waren und sie umschwebten. Es war klar, sie hatte ihre Geisterfreunde verletzt. Kitty war noch nicht ganz in der Turmstube, da waren Brid und Taddy von ihren üblichen Plätzen geflohen und hatten sich in den hintersten Winkel gedrängt. Taddy hatte den Arm um die zitternde Brid gelegt, sie bedeckte mit den Händen den Hals, als wollte sie die Wunde vor dem Mann, der durch den Raum ging, verbergen. Sie sahen hilflos aus, fanden keine schattige Ecke oder einen Nebelschleier zu ihrem Schutz.
    »Verzeiht mir«, sagte Kitty zu den Geistern auf Irisch. »Ich hatte es mir anders vorgestellt.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Nichts von Bedeutung«, sagte sie auf Englisch. »Ich meine – machen Sie sich nichts draus. Meistens rede ich in meiner Muttersprache. Das ist natürlich ungehörig in Gegenwart von weniger Gebildeten.«
    Seine Lordschaft hob beide Augenbrauen und gab den bekannten Summton von sich, womit er ihr Eingeständnis, unhöflich gewesen zu sein, akzeptierte, wenn nicht gar die darin versteckte Beleidigung. Entschlossen schritt er die Steinstufen hinauf, die an die Brustwehr führten.
    Brid zitterte nicht mehr, und Taddy hatte sie losgelassen. Dicht nebeneinander standen sie, würdevoll in ihrem Leiden, die körperlosen Trugbilder waren

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