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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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schmiedeeisernen Umzäunung durchschritten, hatte Aaron bereits mehrfach gesagt: »Sie wird im Chor singen. Da bin ich mir sicher.«
    Lolly, die sein Gebaren eher amüsierte, als dass es ihr auf die Nerven ging, erwiderte: »Du weißt überhaupt nichts.«
    »Es ist ein amerikanischer Chor, der auf Tournee ist. Lucille ist mit einem Mitglied unseres Kirchenchors durchgebrannt. Sie werden beide hier sein. Ich weiß das.«
    »Diese deine – oder ehemals deine – Lucille und ihr ehrenwerter …«
    »Ehrenwert war der nicht … Lucille war immerhin meine Frau.«
    »Wie dem auch sei, wenn ich mich recht erinnere, haben sie in einer obskuren Kirche in irgendeinem Winkel von New York gesungen, Und jetzt sollen sie auf Welttournee sein und singen Händel?«
    »Obskur ist die Kirche keinesfalls. Es ist St. Joseph in Greenwich Village – gegründet und finanziert von Iren. Du kannst mir glauben, es ist die beste Gemeinde weit und breit.«
    »Meinetwegen. Aber das reicht wohl kaum, um deine Exfrau und ihren … Entführer? … in einen Weltklassechor zu bringen, der den langen Weg in die Grafschaft Kerry nicht scheut, damit sie dich runterputzen und zu einem Blödmann machen kann, der pausenlos über Lebenskrisen lamentiert.«
    »Warte ab, du wirst sie sehen.«
    »Da bin ich aber gespannt. Obwohl – sie könnte gegenwärtig sonstwo sein. Übrigens noch eins: Man muss kein Dr. Freud sein, es ist ganz offenkundig, all dein Gerede, dass sie hier sein wird, ist nichts als dein verbrämter Wunsch, sie zu sehen. Geht das nicht ein bisschen weniger auffällig?«
    »Was heißt hier auffällig? Fass dir lieber an die eigene Nase. Wie war das mit der Person, die vor ein paar Wochen einen sah, den ich einen ›guten Bekannten‹ nennen möchte, der aber an die zwei Jahre tot ist? Sie sah einen sich bewegenden Schatten im Nebel und hielt ihn nicht etwa für ein Trugbild. Laut bei seinem Namen hat sie ihn gerufen. Declan! Declan! Ist das etwa nicht auffällig?«
    »Ich dachte, das war sein Geist. Und richtig gerufen hab ich ihn auch nicht. Wirklich nicht.«
    »Vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst.«
    »Ich hab ihn gesehen, und du hast ihn auch gesehen.«
    »Ich habe ihn nicht gesehen. Damals nicht. Später bei der Burg, aber nicht damals. Ich habe eine dunkle Gestalt gesehen, die im Nebel verschwand, nicht anders als du. Und dann kam der Schrei: Declan! Declan! – klang wie ein Flehen aus tiefstem Bangen und Sehnen.«
    »Schon gut. Schon gut«, wimmelte Lolly ab. »Lassen wir das jetzt. Lassen wir es.«
    Sie gingen durch die Pforte und schritten auf dem Weg, der durch gepflegten Rasen führte, aufs Portal der Kirche zu.
    »Soviel lass mich noch sagen«, fing Lolly an und brach ihr Waffenstillstandsangebot, »ich will ihn nie wieder sehen.«
    »Ich Lucille auch nicht. Können wir jetzt die Sache sein lassen, wie du so reizend vorgeschlagen hast?«
    »Das wäre das Beste. Und nicht mehr daran denken, sonst hören wir nichts von der Musik,«
    »Ich werde sie hören. Und Lucille wird singen.«
    »Stopp!«
    »Schon gut. Schon gut.«
    Sie gingen hinein.
     
    Lucille gehörte zu den Ersten, die den Altarraum betraten. Es gab Applaus. Sie war die fünfte in der zweiten Reihe. Aaron wusste nicht recht, ob er entsetzt oder erleichtert sein sollte. Er beschloss, beides zu sein. Lucille trug wie der ganze Chor ein rotes Gewand, dass Aaron sofort für passend hielt. Scharlachrot, die Farbe für eine in Verruf geratene Frau. Lucille war etwas blonder, als er sie in Erinnerung hatte, doch ihre frische Schönheit blühte noch – eine Schönheit, die sie unwiderstehlich machte, eine Schönheit, die den Bariton, mit dem sie auf und davon gegangen war, nur allzu leicht betört hatte. Aaron stieß Lolly an. Starrte unverwandt auf Lucille, die sich nervös die Lippen leckte, ahnungslos, dass unheimliche Kräfte am Wirken waren, die sie und höchstwahrscheinlich ihren Ex-Gatten an diesem entlegenen Fleck der Erde zusammenbringen würden, ein Zufall, wie er sich in Romanen der viktorianischen Zeit ergab – nein, sogar ergeben musste. »Zweite Reihe, die Fünfte von links«, flüsterte Aaron.
    Lolly schaute erst ihren Mann an, dann in den Altarraum, in dem gerade die letzten Sänger des in zwei Reihen aufgestellten Chors ihren Patz fanden. »Das ist nicht Lucille«, murmelte sie.
    Die Solisten kamen auf die Bühne. Jeder klatschte, auch Aaron und Lolly. Noch ehe der Beifall verebbte, wiederholte Aaron das eine Wort: »Lucille.«
    »Kann nicht

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