Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
hätte öfter sein können.«
»Zu wahrer Liebe gehört doch wohl mehr.«
»Und gebraucht hast du jemand, der dich anbetet und verehrt wie einen Gott, obwohl du bloß ein elender Wicht bist. Schon gar nicht davon zu reden, dass du eine billige Putze haben wolltest, ein Kammermädchen und eine Köchin … Na ja. Stimmt schon. Da wäre etwas, das du mir vergeben kannst. Ich kann nicht kochen. Habe es nie gekonnt, ich versuche es jetzt nicht mal. Du vergibst mir das, und ich vergebe dir, nicht nur, dass du ein lausiger Ehemann warst, sondern dass du ein lausiger Schriftsteller bist.«
»Ich bin kein lausiger Schriftsteller.«
»Ach, du mein Gott! Glaub doch wenigstens einmal, was in der Zeitung steht. Du bist ein lausiger Schreiberling. Und das vergebe ich dir. Dafür kannst du genauso wenig wie ich dafür, dass ich nicht kochen kann. Wäre das nicht ein Handel, auf den wir uns einigen könnten? Du wolltest von Vergeben reden. Ich rede gerade von Vergeben. Also los, äußere dich.«
»Lucille, ich … ich …«
»Ich … ich … ich, immer nur ich. Also lassen wir’s. Ich mussgleich weg, pinkeln. Danke, dass du hier warst. Freu dich an dem Rest. Und denke dran, nicht um dich geht’s. Um den
Messias
geht’s. Den wahrhaft Liebenden. Kapiert?«
»Ich habe nie gesagt … ich habe nie gedacht …«
»Tut mir leid. Jetzt muss ich wirklich laufen, länger halt ich’s nicht aus.«
Aaron überlegte, ob er zum zweiten Teil gehen sollte oder nicht und statt dessen zur Burg Ross fahren, und wäre es nur, um aus sich einen aufrichtigen Ehemann zu machen. Doch bevor er wusste, wie ihm geschah, saß er auf seinem Platz und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Der Chor sammelte sich im Altarraum. Lucille war nicht dabei. Nachdem die Sänger, abgesehen von den Solisten, sich aufgestellt hatten, kam sie und musste nun am ganzen Chor entlang hinüber zu ihrer Seite. Augenscheinlich hatte sie wirklich pinkeln müssen. Ein paar aus dem Publikum hielten sie für die erste Solistin und fingen an zu klatschen. Lucille verneigte sich flüchtig, strebte der zweiten Reihe zu und sorgte so für Unruhe, denn die Sängerinnen, die rechts und links von ihr stehen sollten, mussten ihrer verspäteten Kollegin Platz machen. Der Beifall erstarb, sobald Lucille an den Stühlen vorbei war, die auf die echten Solisten warteten, brandete aber wieder auf, als diese hereinkamen, und steigerte sich, als der Dirigent aufs Podium stieg.
Aaron schaute und lauschte. Dort stand Lucille, nahm ihn jedoch nicht wahr. Die Musik setzte ein. Sie sang und sang und sang, gab alles, was sie hatte, so wenig es auch sein mochte. Dass sie der Aufgabe vielleicht nicht gewachsen war, kümmerte sie nicht. Sich aus vollem Herzen hinzugeben, schien genug zu sein. Leidenschaft trieb sie an. Eine Gefühlstiefe beseelte sie, die er nie zuvor an ihr bemerkt hatte. Sie war einfach großartig.
So hatte er sie bislang nicht gesehen. Bis dahin hatte er nicht die mindeste Vorstellung gehabt, wer sie war und was sie war, wie kühn und furchtlos sie war, welche Beseeltheit von ihr ausging,die er nie erspürt hatte. Jetzt, viel zu spät freilich, betete er sie an. Sie glücklich zu machen, sollte sein erster und einziger Lebenszweck werden. Er liebte sie.
Das
Halleluja
war unerträglich schön.
Würdig ist das Lamm
trieb ihm Tränen der Freude und Verzweiflung in die Augen. Er mühte sich nicht, sie zurückzuhalten oder von den Wangen, den Lippen, dem Kinn zu wischen, ließ sie ungehindert auf seine einzige gute Krawatte tropfen.
Nachdem das letzte Echo des großen
Amen
in atemloser Stille verklungen war und der Beifall sich erschöpft hatte, stürzte Aaron aus der Kirche. Die Ellenbogen nutzend, drängte er sich durch die Menge, die sich vor ihm staute, denn niemand hatte Eile, hinaus in den strömenden Regen zu gehen. Währenddessen hatte Lucille offenbar bereits einen der Busse bestiegen, die vor der Sakristeitür hielten, um alle Mitwirkenden rechtzeitig für den Abendflug nach Amerika zum Shannon Airport zu schaffen. Ihn kümmerte der Regen nicht, er lief an den Bussen entlang, hoffte, sie ein letztes Mal zu erblicken, doch diese Hoffnung blieb unerfüllt. Einer nach dem anderen fuhren die Busse davon. Sie war entschwunden, war mit dem Gatten entschwunden, der bei der Arie
Sie erschallt, die Posaun
an Stimmglanz verlor und bei jeder der unendlichen Wiederholungen, die Händel vorschrieb, ausdrucksloser geworden war.
Der letzte Bus rollte die Straße hinunter und
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