Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
geh’n
längst gefangen), eilte durch das Hauptportal hinaus auf den Fußweg, der die Grünfläche teilte. Das würde ihm den gehörigen Rahmen geben, in dem er die bewegte Szene zu spielen gedachte, die er sich ausgemalt hatte.
Er wartete. Keine Lucille erschien. Vielleicht hatte sie ihn doch nicht gesehen. Vielleicht war das sonderbare Benehmen, das er beobachtet hatte – ein nervöses Zupfen an ihrem rechten Ohrläppchen, wiederholtes Schniefen, das er zu hören glaubte –, eben nur eine Eigenart Lucilles. Vielleicht hatte sie sich wieder nass gemacht, als sie ihn erblickte. Er überlegte schon, ob er um die Kirche herumgehen und den Erstbesten bitten sollte, demSopran zweite Reihe, Vierte von links zu sagen, dass ein Bekannter aus Amerika sie gern gesprochen hätte. (Selbst in dieser Erwartungshaltung hätte er es nicht fertiggebracht, den Namen Lucille Glyzinski auszusprechen, was sein Nachfragen vereinfacht hätte.) Doch bevor er sich dazu durchringen konnte, hörte er die ihm nur allzu bekannte Stimme. »Diesmal habe ich dicht gehalten, musste eben erst pinkeln gehen. Was machst du ausgerechnet hier? Mitten im Regen. Ich habe dich im Narthex gesucht und dann erst gesehen, dass du draußen …«
»Wo hast du mich gesucht?«
»Was meinst du mit ›wo‹?«
»Das Wort, das du eben benutzt hast. Wo hast du dich umgeschaut?«
»Im Narthex. Was soll daran falsch sein?«
»Habe ich noch nie gehört.«
»Die Vorhalle ist das. Du solltest öfter zur Kirche gehen. Wieso bist du überhaupt hier? Du hast doch die ganze Aufführung schon gehört. Der Regen wird meiner Stimme schaden.«
»Ist ja bloß Nebel. Und der ist gut für die Stimme. Macht sie weicher.«
»Woher hast du denn die Weisheit?«
»Hört man immer wieder.«
»Sag mal, wo?«
»Du hast wunderbar gesungen.«
»Danke. Wie willst du das wissen?«
»Ich kenn dich doch. Da höre ich das eben.«
»Du kennst mich gar nicht.«
»Wir waren verheiratet. Schon vergessen?«
»Genau deshalb weiß ich, dass du mich eigentlich nicht kennst.«
»Schon gut. Lassen wir es dabei …«
»Viel Zeit habe ich nicht. Wir haben eben nur Pause. Was treibt dich bloß her?«
»Ich wollte Händel hören.«
»Ach, sieh mal an. Seit wann bist du der große Barock-Fan? Dass ich nicht lache.«
»Dann lach nur. Ich bin gekommen, um dir zu sagen … ich meine, ich möchte, dass du weißt, dass ich … ich … ich …
»Nun spuck’s schon aus, verdammt noch mal.«
»Ich vergebe dir.«
»Wie bitte?«
»Ich vergebe dir.«
»Oh! Tatsächlich? Was denn? Was habe ich nun wieder verbrochen?«
»Ich vergebe dir, dass du mich verlassen hast.«
»Du vergibst mir was?«
»Ich vergebe dir, dass du mich verlassen hast. Das ist es. Und damit habe ich es gesagt. Ich meine das wirklich. Ich habe dir vergeben.«
»Du hast
mir
vergeben?«
»Genau das habe ich eben gesagt.«
»Habe ich gehört.«
»Damit weißt du nun, ich habe dir vergeben.«
»Da wird der Hund in der Pfanne verrückt.«
»Was soll das heißen?«
»Stell dich nicht so blöd.«
»Lucille, uns bleibt nicht viel Zeit. Ich bin hergekommen, um dir zu vergeben, und das habe ich getan. Wenn du jetzt zurück musst …«
»Natürlich muss ich zurück, aber das hat noch Zeit, die können auch ohne mich weitermachen.
Ich
bin diejenige, die dir vergeben sollte, nicht
du
mir. Und ich sage dir, wie ich hier stehe, ich vergebe dir nicht und werde das nie tun. Du Fatzke.«
»Lucille …«
»Ich weiß, wie ich heiße. Interessiert dich vielleicht, weshalb ich dir nicht vergebe?«
»Komm, Lucille …«
»Für dich, bitteschön, Glyzinski, Mrs Glyzinski. Ich werde dir nie vergeben, weil du mir vorgegaukelt hast, du würdest mich lieben.«
»Ich habe dich geliebt.«
»Hör auf, Worte zu benutzen, von denen du nicht mal weißt, was sie bedeuten.«
»Ich habe dich wirklich geliebt.«
»Hör auf damit, oder ich mache mir wieder in die Hosen – diesmal vor Lachen.«
»Glaub mir oder glaub mir nicht, aber …«
»Ich glaube dir nicht. Ich habe dir damals geglaubt. Jetzt glaube ich dir nicht mehr. Was du dir damals gedacht hast, war … ich verkneif mir lieber das Wort. Du hast jemand gewollt, der andere Männer neidisch macht, verblüfft sollten die sich fragen, warum so ein Depp wie du so ein tolles Weibsstück wie mich erwischen konnte.«
»Das ist doch nicht …«
»Halt den Mund. Ich bin noch nicht fertig. Du hast jemand gewollt, den du jederzeit flachlegen kannst – was übrigens, wenn du mich fragst,
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