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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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er sich die geistliche Stärkung holen wollte, die von dem Oratorium unfehlbar ausging, beabsichtigte er, von seinem Gewissen gedrängt, den so männlich tapferen Akt zu vollziehen, seiner fehlgeleiteten Frau zu verzeihen, dass sie ihr Ehegelöbnis gebrochen und eheliche Wonnen in den Armen eines anderen – wo sonst wohl – gesucht hatte.
    Das alles hätte er auch Lolly erzählen können. Denn schließlich und endlich konnte er es sich zugutehalten, dass es ihm und seinem verletzten Ego gelang, alle bösen Gefühle fahren zu lassen, die der Treuebruch seiner ersten Gattin in ihm erweckt hatte. Seine Großherzigkeit berührte ihn tief – Lucille würde es ähnlich ergehen. Hätte er aber Lolly gegenüber den Namen Lucille erwähnt, hätte das spöttische Bemerkungen nach sich gezogen, die er sich lieber hatte ersparen wollen. Zu unumwundenen Anschuldigungen wäre es zwar sicher nicht gekommen, wohl aber zu einigen nicht ganz so zarten Sticheleien, sodass es mit dem Vergeben schwierig geworden wäre.
    Wenn ihn die versteckten Anspielungen seiner Frau auchnicht bis ins Mark treffen würden, so war es ihm doch sicherer, erst gar nicht Anlass dazu zu geben, sowohl Lolly als auch sich selbst zuliebe. Warum sollte er sie beunruhigen? Warum ihr unnötige Sorgen bereiten? So zu denken, ermöglichte es Aaron, während er durch Killorglin fuhr, sich selbst davon zu überzeugen, dass er seiner Frau gegenüber keinesfalls geheuchelt, sondern liebevoll auf sie Rücksicht genommen hatte. Er stellte sich vor, wie er die Musik genießen würde. Mit völlig reinem Gewissen. Und der Beifall, den er sich selbst spendete, würde bei der Absolution, die er der nichtswürdigen Lucille erteilte, beträchtlich anwachsen.
     
    Die Kirche in Killarney war nicht so großartig wie die in Caherciveen, stand dafür aber auf weitläufigerem Gelände. Eine ansehnliche Schafherde hätte mindestens eine Woche lang zu tun, die grünen Rasenflächen abzuweiden. Die Kirchenbänke schienen etwas härter zu sein, doch nichts konnte Aarons wachsende Euphorie eindämmen.
    Das Podest, auf dem der Chor Aufstellung nehmen würde, stand da, auch die Stühle für die Solisten und das Orchester waren da sowie das Podium für den Dirigenten. Aus dem typischen Sonntagswetter – mehr Nebel als Nieselregen – strömte die Menge herein, war bereit, sich erheben zu lassen, eine Weile Aufschub zu erlangen von den Lasten und dem Stöhnen unterm Joch ihres Lebens.
    Und da kam auch schon Lucille, diesmal die Vierte in ihrer Reihe, woraus man schließen konnte, dass ein Chormitglied früher nach Amerika zurückgereist war oder (kaum vorstellbar) ein besseres Angebot erhalten hatte. Lucille war, wie es ihr zukam, gekleidet wie zuvor; ihrem Chorgewand fehlte nur der scharlachrote Buchstabe A, um sie noch kenntlicher als das zu machen, was sie war: Adultera, Ehebrecherin. Trotzdem, sie war hübsch im Sinne eines weitverbreiteten Klischees: blondes Haar, engelgleich geringelt und gewellt, reichte bis auf die Schultern, Augen, deren Blau bis zu Aaron in der fünften Reihe strahlte,Wangenknochen so gut wie keine, doch die wohlgeformten und fülligen Lippen machten den kleinen Mangel mehr als wett. Und erst die Haut, die erfüllte jeden Anspruch auf Schönheit; sie war von einer Frische, aus der Gesundheit und Wohlbefinden sprachen, sorgloses Gemüt und liebenswerte Kameradschaft. Vielleicht lag es an Aarons gegenwärtigem Landleben, dass er die Summe all dieser Vorzüge mit der Sanftmut und Gelassenheit einer Kuh verglich, eine Einschätzung, die jedoch ein Temperament unberücksichtigt ließ, das abenteuerlustig genug war, mit einem Bariton auf und davon zu ziehen. Auf der Stelle beschloss Aaron, ihr nicht nur ihr ehebrecherisches Verhalten zu vergeben, sondern auch ihre allgemeineren Mängel. Der Becher seiner Großherzigkeit drohte überzufließen.
    Das Oratorium begann. Lucille schien sich mehr anzustrengen als alle übrigen, doch das konnte daran liegen, dass ihr bei ihren begrenzten stimmlichen Mitteln gar nichts anderes übrigblieb. Aaron bemühte sich, ihre unverwechselbare Stimme herauszuhören, aber die Sänger waren so aufeinander eingestellt, dass eine einzelne Stimme, selbst wenn sie Lucilles besondere Farbe hatte, nicht hervorstach.
    Teil eins endete mit angemessenem Beifall. Aaron, der sich sicher war, dass Lucille ihn erblickt hatte (sie wirkte ein bisschen durcheinander beim
Uns ist zum Heil ein Kind geboren,
hatte sich aber bei der Chorpartie
Wie Schafe

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