Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
lassen wir dort hängen, Harfe und Webstuhl bleiben unberührt? Wollen wir das wirklich?«
Kitty malte sich die unausweichlichen Bilder aus, dann hob sie den Kopf. Kieran schaute in den heller werdenden Himmel. Sie war versucht, wieder zu ihm zu gehen, aber vielleicht war für das, was sie zu sagen hatte, ein wenig Abstand besser. »Du weißt genauso gut wie ich, was wir tun müssen. Soll ich es aussprechen oder machst du es?«
Keine Antwort. Kitty blieb ruhig, konnte es dann aber doch nicht länger aushalten. »Diese Burg, die ich mehr als mein Heim empfinde als das Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, diese Zeugin unserer großen Liebe, dieses Erbe, dass ich gehofft habe, unseren Kindern zu hinterlassen und die wieder ihren Kindern, wird vernichtet werden. Das wird das Ende sein. Es gibt keinen anderen Ausweg. Bewerkstelligen werden das du und ich, wir beide.«
»Wir werden das nicht machen.« Kierans Stimme klang fest und entschlossen.
»Muss ich es allein tun?«
»Keiner wird das machen. Es wird nie geschehen.«
»Du hast doch selbst eben alle Gründe dafür aufgezählt …«
»Keine Gründe. Nur Tatsachen, denen man sich stellen muss. Und es sind nicht die einzigen, die in Betracht zu ziehen sind.«
»Oh?«
»Und dann stellt sich die Sache in einem anderen Licht dar.«
»Oh?«
»Das Kind kommt zur Welt. Hier. In dieser Burg. In diesem Bett, wenn du willst. Und Brid wird kommen und das Baby anschauen, auch Taddy.«
»Nein!«
»Doch. Sie werden kommen. Und das Kind wird sie sehen; wir werden sie sehen. Das Kind wird sehen, wie sie in die Wiege schauen. Das Kind wird sie im Burghof sehen und auf dem Berg. Das Kind wird sie zwischen den Obstbäumen sehen und … ach, Kitty, Kitty, das Kind wird sie am Webstuhl sehen und mit der Harfe …«
»Aber …«
»Nein, warte. Warte. Lass mich ausreden.«
»Aber du bist …«
»Bitte, Liebling, bitte.«
»Also schön, red weiter.«
»Wenn die Zeit gekommen ist – und das wird sich von selbst ergeben –, werden wir erzählen, wer die beiden sind. Wir werden erzählen,
warum
sie da sind. Das Kind wird das hören, und dann wird es alles wissen. Die ganze Geschichte. Alles. Von deinen Vorfahren und meinen, die sich verpflichtet hatten, das Schießpulver zu entzünden. Von ihrer Wanderung nach Tralee. Und wie die lieblichen und unschuldigen Geiseln gefangen genommen wurden. Wie die Schlingen geknüpft wurden, und wie ihre hübschen Leichen …«
»Nein … Bitte, hör auf. Das können wir doch nicht einem Kind …«
»Das können wir. Und wir werden es tun.«
»Bloß wie?«
»Na, mit unseren Worten.«
»Und wer wird die über die Lippen bringen?«
»Ich werde es, du wirst es tun.«
»Ich? Niemals.«
»Doch, du wirst. Und ich sag dir auch, warum.«
»Nein, ein ›warum‹ kann’s nicht geben.«
»Hör zu. Und dann sag’s noch mal, wenn du es dann noch vermagst.«
»Ich höre zu. Und doch werde ich bei dem bleiben, was ich die ganze Zeit gesagt habe.«
Kieran drehte sich halb zu seiner Frau um und schaute sie an. Kitty zog es vor, sich auf die gegenüberliegende Wand zu konzentrieren. Leise und eindringlich redete er auf sie ein. »Brid und Taddy, wer sie sind und was mit ihnen passiert ist, das ist unsere Geschichte, so gut wie es ihre ist. Und die Geschichte handelt von unserem Land, davon, was es erlitten hat und was ihm angetan wurde. Das haben wir nun hinter uns, Kitty, das ist alles vorbei. Jetzt sind wir ein anderes Irland. Das Land, in dem Brid und Taddy lebten, gibt es nicht mehr, und schließlich und endlich sind wir froh darüber. Aber es darf nie vergessen werden. Ist es nicht möglich, dass sie hier sind und sich uns zeigen, nicht weil sie ihrer ewigwährenden Freuden beraubt wurden, die sie mehr verdient hätten als sonst jemand, sondern weil sie möchten, dass wir sie sehen und somit ihre Geschichte und unsere Geschichte kennen? Sie sind gestorben, wie du und ich sterben werden. Uns kann man vergessen. Aber Brid nicht. Auch Taddy nicht. Sie müssen für alle Zeiten in Erinnerung bleiben, solange irisches Blut durch eines Menschen Herz pulsiert. Unser Kind wird davon erfahren. Unser Kind wird es weitererzählen, so wie wir es ihm erzählen werden. Und die Mauern der Burg werden stehen bleiben und werden sein Heim auf Erden sein. Bitte, Kitty, Brid und Taddy, die können wir nicht einfach fortschicken. Sie haben eine Geschichte zu erzählen, und die muss erzählt werden, kann nicht oft genug erzählt werden, und solange ich
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