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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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und nicht nur um die Hand der Künstlerin für ihrelangweiligen Söhne bettelten, sondern sich auch um eine ihrer ziemlich vulgären Schöpfungen rissen, um sich für den nächsten Opernabend damit zu schmücken.
    Trotz allem, Kitty befriedigte das nicht. Irgendwo im Hinterkopf rumorte vage etwas, das sie eigentlich hatte ignorieren wollen, aber doch nicht konnte: Edith Wharton hatte von menschlichen Geschicken berichtet, die so erzählt werden mussten, wie sie waren; Kitty McCloud hatte diese Wahrheiten nicht nur verschleiert, sondern völlig unter den Tisch fallen lassen. Lilys Schicksal war aber vorherbestimmt gewesen. Wenn also Mrs Wharton mit ihren Zufällen zu freigiebig gewesen war, dann hatte sich Kitty mit ihren Manipulationen keinesfalls weniger schuldig gemacht. Sie hätte sich schämen müssen. Und das tat sie auch.
    In einem letzten Versuch eine Wahrheit zu finden, die über das hinausging, was ihre Vorgängerin enthüllt hatte, konnte sich Kitty nur ein einziges unabwendbares, aber unakzeptables Ende denken. Von Anfang an hatte sie Ediths Schlussszene zu recht mit Hohn und Spott betrachtet. In den letzten Augenblicken vor ihrem mehr oder weniger absichtlich herbeigeführten Tod glaubt Lily in ihrer Phantasie, das Baby einer Freundin in ihren Armen zu wiegen. Der Wunsch, ein Kind zu haben, war Lily nie wichtig gewesen, daher war es widerlich sentimental, so etwas gerade in dem Moment ins Spiel zu bringen, da die Heldin am verletzlichsten war.
    Was blieb Kitty also übrig? Ihr fiel die einzig mögliche Antwort ein, und die gab ihr auch das Stichwort, den Computer auszuschalten und sich vom Schreibtisch zu erheben. Für ihre Fenimore gab es nur ein ehrliches Ende. Kitty würde ihr den einzigen Job geben, den eine Frau in ihrer Situation haben konnte – in der Triangle-Shirtwaist-Fabrik in New York im Jahre 1911. Die dort fehlenden Brandschutzeinrichtungen könnten dann den Rest besorgen. Wie all die anderen jungen Frauen in der Fabrik, denen es nicht gelungen war, einen reichen Mann von gutem Ruf zu ergattern, würde sie das ihr bestimmte Schicksal ereilen. Inmitteneines plötzlich ausbrechenden Feuers gefangen, würde sie vom zehnten Stockwerk in den Tod springen, um den Flammen zu entkommen. 1
     
    Am Horizont war ein Containerschiff aufgetaucht, von Norden zog eine Wolke heran und trug einen noch intensiveren Duft von Klee herüber. Draußen über dem Meer hatten sich Möwen zu den Kormoranen gesellt, und hinter sich hörte Kitty Sandregenpfeifer im hohen Gras rascheln. Unter sich sah sie, wie die Flut hereinkam, noch leckte und schleckte das Wasser gerade erst am Fuß der Klippe. Sie wollte warten, bis die Wellen höher stiegen, und dann Ediths Buch, das ihr nicht länger ein Omen oder besonderes Zeichen war, in das Element zurückschicken, aus dem sie es per Zufall erhalten hatte. Aggressivere Wogen schienen ihr vonnöten, damit der Sog Lily zu dem versunkenen Haus und den tief betrauerten Gebeinen zurückbeförderte.
    Auf der Straße hielt ein Wagen an. Sie drehte sich um, denn sie vermutete, ein alter Bekannter hätte nur kurz gestoppt, um sie zu begrüßen und mit ihr ein bisschen über das abgestürzte Haus zu plaudern. Aber es war Lolly, die den Motor abstellte. Sie bemerkte Kitty, und da die ihr entgegensah, schaltete sie die Zündung sofort wieder ein, um weiterzufahren. Sie trat leicht aufs Gaspedal, hob den Fuß aber gleich wieder hoch. Der Motor lief langsamer und blieb stehen. Sie zog den Zündschlüssel ab, wartete einen Moment, stieg dann aus und ging auf ihre beste Freundin Kitty zu.
    »Du bist hier«, rief sie laut, obwohl sie gar nicht so weit weg war.
    »Sieht ganz so aus.« Kitty, die am Klippenrand saß, überlegte, ob sie aufstehen sollte, hielt es aber für besser, den Eindringling nicht erst zum Bleiben aufzufordern. Ihr war unklar, was Lolly hier wollte, es sei denn – und das war ein Gedanke, den sie liebernicht weiterspann –, sie hatte gehofft oder erwartet, Declan hier zu treffen. Wenn dem so war, wollte Kitty sich diese Bestätigung lieber im Sitzen anhören.
    »Du hast wohl Declan gesucht?«, fragte Lolly harmlos. Dem Klang der Stimme entnahm Kitty, dass ihre Freundin nur wenige Schritte hinter ihr stand.
    »Warum sollte ich eigens herkommen und Declan suchen? Ich sehe ihn fast jeden Tag beim Dachdecken.«
    »Das schon. Natürlich. Aber … ist er vielleicht nicht doch hier?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Offensichtlich hast
du
ihn aber hier treffen wollen,

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