Das Schwein unter den Fischen
nicht mal beim Basketball.
Nach einer weiteren Line Koks kam Simon auf die Idee, ich könnte ihm die Beine rasieren. Keine Ahnung, warum ich es tat, vielleicht, weil es der letzte Schultag war, und immerhin hatte er vor mir geweint.
Ich schob ihn in die Dusche. Mein Vater war unten im Imbiss, Ramona beim Bauchtanz. Er hatte versprochen, mich nicht mehr anzufassen, und hielt sich tatsächlich daran. Ich rasierte ihn mit einem rostigen Einwegrasierer von Ramona. Plötzlich hörte ich meinen Vater im Imbiss so laut brüllen wie noch nie. Vor Schreck schnitt ich Simon in den Oberschenkel. Er schrie noch schriller als Reiner, Blut tropfte auf mein Knie. Ich drehte die Dusche voll auf und hielt den Duschstrahl versehentlich auf Simons Sack.
»Pass auf, der Strahl! Meine Hoden schmieren ab, aaaaaahahaaa, Aua!«
Er fing an zu heulen und beschimpfte mich, ich hätte ihn vielleicht kastriert.
Ich knallte ihm eine, packte sein Gesicht und sagte:
»Halt die Klappe, komm mal runter, sonst erzähl ich das bei der Abiparty!«
Reiner brüllte meinen Namen.
Simon wimmerte, ihm blutete wegen des Kokains nun auch die Nase. Ich nahm Ramonas Schnaps aus dem Klokasten, drückte ihn an Simons Brust und sagte: »Hier, desinfizieren und trinken, ich bin gleich wieder zurück – und stopf dir was in die Nase!«
Simon heulte noch immer: »Ich brauch ein Sprühpflaster, sonst muss das genäht werden!«
»Stell dich nicht so an«, rief ich noch und schlug die Tür hinter mir zu.
Ich sprang die Treppen runter und rannte auf die Straße. Es standen so viele Leute im Imbiss, dass ich mich durchdrängeln musste.
Im Vorratsraum kniete Reiner neben einem umgestürzten Regal auf dem Boden, hielt Friedrich im Arm und weinte. Der Schädel der Katze war aufgeplatzt, ein Fass Sauerkraut auch, daneben lag ein umgekippter Eimer Mett. Irgendjemand machte ein Foto.
Simon trank Ramonas Schnaps aus, stopfte sich Klopapier in die Nase und folgte mir mit nacktem Oberkörper. Die meisten Leute waren inzwischen wieder gegangen. Ich saß auf dem Boden und sah zu, wie mein Vater mit einem Feudel im Blut herumwischte. Friedrich hatte er in Alufolie gewickelt und in meinen Arm gelegt.
Simon klopfte mir auf die Schulter und sagte:
»Hey, tut mir leid, aber es war doch nur eine Katze.«
»Simon, kannst du bitte einfach gehen?«
»Ja klar, okay, ich ruf dich an, war ein schöner Tag.«
Ich wickelte Friedrich in so viel Alufolie, dass kein Blut mehr herauslaufen konnte. Die Folie drückte ich ganz fest um den schlaffen Katzenkörper und legte das Paket in die Tiefkühltruhe. Reiner schaute mir dabei zu und sagte:
»Hoffe, die Gesundheitsfuzzis kommen bis zur Beerdigung nicht vorbei. Sonst können wir die Bude dichtmachen.«
Die Abiparty schwänzte ich. Die einzige Person, die ich gern noch einmal gesehen hätte, war meine Kindheitsfreundin Liza aus Liberia. Aber Liza war nie auf eine einzige Party gegangen, Liza hatte schon immer andere Sorgen gehabt. Wir hatten während der letzten Schuljahre kaum nochKontakt, und im Gegensatz zu mir hatte sie seit langem eine genaue Vorstellung davon, was aus ihr werden sollte. Sie interessierte sich für Zahlen, Geldanlagen, Rationalisierung. Mir sagte das alles nichts, meine Beschäftigung mit Geld beschränkte sich auf die Herausgabe kleiner Wechselgeldbeträge im Imbiss. Liza fing schon früh an, sich wie eine Erwachsene zu kleiden, und ging unmittelbar nach dem Eins-Komma-null-Abitur zum Studieren nach London. Deutschland war ihr ohnehin zu provinziell. Sie fand, dass es emotional zu aufwendig sei, hier als Schwarze zu leben. Ihre Eltern wohnten seit einiger Zeit auch nicht mehr in dem Asylbewerberheim.
Ihr Vater hatte seine oppositionelle Arbeit von Deutschland aus fortgesetzt und hielt mittlerweile gut besuchte Vorträge an der Uni, da er ein Buch über seine Flucht aus Liberia und das Leben danach geschrieben hatte, das in mehrere Sprachen übersetzt worden war. Liza hatte stolz ein Exemplar mit in die Schule gebracht, und unser GMK-Lehrer widmete ihm spontan ein paar Doppelstunden.
Wir nahmen vor allem das Kapitel durch, in dem beschrieben wurde, wie Lizas Vater jahrelang in einer Kerzenfabrik gearbeitet hatte. Der Chef dort war einer der wenigen Arbeitgeber gewesen, der eine auf ein halbes Jahr beschränkte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis akzeptiert hatte.
Kurz vor dem Abitur hatte ich mich auf Lizas Initiative hin noch einmal mit ihr in einem Café getroffen. Es war ziemlich anstrengend gewesen,
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