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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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ist es an diesem Sonntag in der Stadt tatsächlich heiß geworden. Ich setze mich hinter dem Sportverein auf eine Regentonne und bin angenehm bekifft. Melody hat ihr löchriges weißes Kleid ausgezogen. Sie sitzt oben ohne in ihren Boxershorts auf einem ausrangierten Trampolin in der prallen Sonne und lackiert sich die Fußnägel.
    Wir quatschen ein bisschen über das Leben. Melody hat kurz vor dem Abitur die Schule geschmissen, weil sie sowieso Musik machen will. Es stellt sich heraus, dass Melody und Désirée, die Dealerin aus der Siebten, sich kennen. Sie berichtet mir, dass sie und Désirée sich im letzten Jahr auf einem Musikfestival backstage kennengelernt haben und Désirée den besten Stoff der Stadt am Start hat. Sie habe da sogar Snoop Dog versorgt, und der sei ziemlich beeindruckt gewesen.
    »Bist du da mit deiner Band aufgetreten?«, frage ich.
    »Nee, wir haben ja grad mal ’ne EP fertig. Ich hab ein Praktikum bei einem Online-Musikmagazin gemacht, ein paar Eindrücke in Texten verarbeitet und das eine oder andere kleine Interview gemacht. Sie fanden es so gut, dass ich jetzt ab und zu als Freie für die arbeite.«
    »Cool«, sage ich und fühle mich irgendwie beschissen.
    Sie richtet sich auf dem Trampolin auf, fällt sofort wieder um und streckt mir beide Hände entgegen, winkt mir, ich solle rüberkommen. Ein wenig unentschlossen stehe ich auf, gehe zu ihr, und wir verbringen den Rest des Nachmittags auf dem Trampolin. So viel wie an diesem Tag, habe ich zuletzt mit Simon gekifft. Irgendwann springen wir tatsächlich auf demTeil herum, so lange bis der alte Stoff an einer Stelle reißt und ich mit einem Bein darin hängen bleibe. Es gibt ein Alter, da ist Freundschaft vor allem Konspiration. Seit die Schule vorbei ist, habe ich dieses Gefühl nicht mehr gehabt. Kurz überlege ich, ob ich einfach anfangen sollte, täglich zu kiffen, um mit Melody und Désirée auf dem See des kongenialen High-Seins zu schippern. Ich würde vielleicht endlich wieder mehr an meinen Zeichnungen arbeiten oder sogar eine Mappe zusammenstellen. Doch dann denke ich, wie jedes Mal, wenn ich Pläne schmiede, an Reiner. Eine unerträgliche Traurigkeit überkommt mich, die ich nicht verstehe und die mich lähmt.
    Melody und ich liegen nebeneinander auf dem Trampolin in der Dämmerung, teilen uns den letzten halben Liter Elephant-Bier und rauchen meine Mentholzigaretten.
    Es ist jetzt beinahe ganz dunkel, hier im Hinterhof hört man von überall die Leute, die auf den umliegenden Balkonen sitzen und reden. Melody hat keine Lust, nach Hause zu gehen. Dort sitze nur ihr Vater im Wohnzimmer und höre über Kopfhörer seine alten Simon-&-Garfunkel-Platten.
    Melody fängt an »Bridge over Troubled Water« zu singen. Ihre Stimme ist unglaublich, und mir schießen plötzlich Tränen in die Augen. Ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht mehr geweint habe. Als sie es bemerkt, bedankt sie sich.
    »Wenn ich ein Arsch wäre, würde ich dir raten, mit dieser Stimme zu einer Casting-Show zu gehen«, sage ich.
    »Ja, ich weiß, das haben mir schon viele gesagt. Und dass die mich auf jeden Fall weiterlassen würden, weil ich schon optisch so aus dem Rahmen falle, blabla.«
    »Stimmt, aber was für eine Verschwendung wäre das!«
    »Genau. Du wirst ja auch nicht Model, nur weil du groß, dünn und hübsch bist.«
    »Stehst du eigentlich auf Frauen?«, frage ich.
    »Nee, also, nicht so wie du jetzt meinst. Also, ich würde theoretisch nichts ausschließen, aber eigentlich nicht, wieso?«
    »Weil du so cool bist.«
    »Und deswegen muss ich ’ne Lesbe sein? Du bist ja beschränkt.«
    »Wahrscheinlich. Aber die coolste Person, die ich kenne, ist meine Tante, und die ist eben ’ne Lesbe.«
    »Aber sie ist doch nicht cool, weil sie lesbisch ist, oder.«
    »Nee. Und eigentlich ist sie auch nicht ganz dicht.«
     
    Melody hat keinen Kontakt zu anderen Verwandten, weil ihr Vater schon seit Jahren mit niemandem mehr aus seiner Familie spricht. Er hat mit dem Rauchen aufgehört und trinkt den ganzen Tag Cola mit ausgepresster Zitrone. Melody meint, sie mache sich ständig Sorgen um ihn. Sie zieht ihre Bomberjacke an, zerdrückt die leere Bierdose und sagt:
    »Bernd kann mit Frauen nichts anfangen. Er findet die meisten bescheuert. Nur die, die ihn bescheuert finden, findet er nicht bescheuert.«
    »Wie war denn deine Mutter so?«
    »Na ja. Also, ich kannte sie kaum, sie starb ja, als ich fünf war. Ich erinnere mich an ihre langen, schwarz gefärbten

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