Das Schwein unter den Fischen
ich jeden Tag mitbekomme, ist ziemlich abschreckend.«
»Die deiner Eltern?«
»Die Ehe meines Vaters und meiner Stiefmutter Ramona.«
Seine Ohren werden rot. Sie sind ganz klein und liegen eng am Kopf an. Er starrt mich mit seinen Kalbsaugen an und greift nach seinem Besteck.
»Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?«
»Ramona trinkt zu viel.«
»Und du willst ihr gerne helfen, weißt aber nicht wie.«
»Ja, aber ich kann nicht. Sie wird niemals damit aufhören.«
»Ramona Fehrmann? Das ist eine alte Freundin von mir.«
»Das wusste ich nicht.«
»Verkauf mich nicht für blöd, junge Dame«, sagt er ernst, aber ruhig.
»Ich sagte doch, ich will ein bisschen plaudern. Über Ramona. Und über Marlies.«
»Marlies?«
»Deine Frau.«
»Ja. Das geht dich alles nichts an. Was willst du von mir?«
»Ich weiß es nicht so genau. Ich brauch eine Herausforderung. Auch so ein Problem. Weißt du, meine Stiefmutter bedeutet meinem Vater aus irgendeinem Grund sehr viel. Sie macht ihn irgendwie glücklich. Zumindest glaubt er das. Und das Glück meines Vaters ist wichtig für mich. Das verstehst du doch.«
Er schweigt und starrt auf den Rest der Quiche. Ich greife nach dem Besteck in seiner Hand.
»Darf ich probieren? Du scheinst keinen Appetit mehr zu haben. Markus und Michaela sind übrigens süß. War es schwer für deine Frau, als sie in den Rollstuhl kam? Waren die Kinder da schon aus dem Gröbsten raus?«
Ich steche mit der Gabel in die salzige Torte.
Er schließt die Augen, atmet tief durch und sagt dann:
»Falls du Geld willst, muss ich dich enttäuschen. Ich habe keines. Meinetwegen lass uns auffliegen. Ich wusste, Gott wird reagieren, und da sitzt du nun, mein Prüfstein, und wir werden beide etwas verlieren und gewinnen. Ich sollte dir danken.«
»Von was redest du? Ich sagte doch, das Glück meines Vaters ist mir heilig. Daher will ich auch niemanden auffliegen lassen. Und ja, ich will Geld. Aber ich will es verdienen. Also brauche ich einen Job.«
»Und wie kann ich dir dabei helfen, wenn du mich noch nicht mal erpresst?«
»Mir einen Job geben. Aus Nächstenliebe oder so?«
»Was für einen Job?«
»Na, einen Pflegejob.«
»Hast du denn in diesem Bereich Erfahrung?« Er nimmt seine Mütze ab, die Glatze ist schweißnass.
»Nein, aber ich würd gern welche machen.«
Er zerrt die Serviette mit einem Ruck aus seinem Kragen und wischt sich die Hände übertrieben lange an ihr ab. Dann fährt er mit einem Finger über den Tisch, als würde er einen Baum malen. Der Kellner kommt heran und räumt wortlos den Teller ab. »Nun gut«, sagt er, als der Kellner wieder weg ist, »dann komm am Montag zu uns, wir haben unseren Sitz hier gleich um die Ecke, in der …«
»Weiß ich doch, das himmelblaue Haus. Wann soll ich da sein? Um acht, wie du?«
Er nickt und räuspert sich.
»Wir können wirklich jemanden brauchen.«
Er lächelt schief, wischt sich die Hände noch mal an der verknüllten Serviette ab, die der Kellner liegen gelassen hat, klopft dreimal auf den Tisch, steht auf und geht. Auf halbem Weg dreht er sich noch einmal zu mir um und sagt:
»Entschuldige, ich muss jetzt los, wir sehen uns am Montag.«
»Ja, gut, bis dann. Und grüß Ramona!«
»Wenn ich sie sehe, ja.«
Joachim bezahlt am Tresen, dreht sich ein letztes Mal um und macht das Peace-Zeichen.
Aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, bin ich schlechter gelaunt als vor dem Treffen mit Joachim Matthias. Dabei ist alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe einen neuen Job. Trotzdem schmerzt mein Nacken, und ich habe ein Piepen im Ohr.
Ich gehe in den Park, lege mich auf die Wiese und beobachte eine Amsel. Sie sitzt in einem Strauch, pickt nach Beeren und fällt jedes Mal wild flatternd herunter, wenn sie eine abgezerrt hat. Die Alkoholikerclique von der Tischtennisplatte ist heute nicht da. Ein kleiner Junge spielt mit sich selber Tischtennis, immer wieder schlägt er den Ball gegen das Metallgitter. Ich schließe die Augen, das Klacken des Balles beruhigt mich. Als ich aufwache, ist der Junge verschwunden.
Auf dem Weg nach Hause bremst ein offensichtlich teures Auto direkt neben mir, die Scheibe fährt runter, der Typ, gegelte Haare, verspiegelte Sonnenbrille, starrt mich an. Ich starre auf die Straße.
»Celestine?«
»Ja?«
»Ich bin’s, Kassian. Erinnerst du dich? Wir waren mal in einem Kunstkurs, vor zwei, drei Jahren.«
»Kunstkurs, ja, erinnere mich. Ich hab’s eilig, tut mir leid.«
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