Das Schwein unter den Fischen
kennen wir uns denn?«
»Ich kenne Sie.« Meine Stimme ist leise, ich bin plötzlich ein wenig nervös.
»Ach so, woher denn, entschuldige, ich komm nicht drauf.« Er klingt verlegen.
»Ich weiß, wo und was Sie arbeiten. Aber wir haben uns nie persönlich kennengelernt.«
»Interessant!« Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, nimmt seine Mütze ab, betrachtet sie flüchtig und setzt sie dann wieder auf. »Was kann ich für dich tun? Irgendetwas auf dem Herzen? Setz dich doch, dann können wir miteinander sprechen. Möchtest du was trinken?«
Am liebsten würde ich ihm eine reinhauen. »Gern.«
»Was möchtest du?«
»Ich weiß nicht.«
»Orangensaft, frisch gepresst? Der tut gut, ich bestell mir auch einen. Du kannst mich übrigens duzen. So alt bin ich nun auch wieder nicht.«
»Okay, wie du meinst.«
Er winkt den Kellner an den Tisch und bestellt.
Er lehnt sich wieder zurück, verschränkt die Arme hinterm Kopf, nickt mir zu und wartet darauf, dass ich anfange, ihm mein Herz auszuschütten. Ich hatte mir alles im Kopf zurechtgelegt, aber jetzt fällt mir noch nicht einmal mehr der erste Satz ein.
»Hast du ein ernstes Problem?«, versucht er mir auf die Sprünge zu helfen.
»Ich, also ich …« Im Hintergrund rattert die elektronische Saftpresse so laut, dass ich mein eigenes Wort kaum verstehe. Also zucke ich nur mit den Schultern und versuche zu lächeln. Erst als ich mir eine Zigarette angezündet habe, fühle ich mich etwas besser.
»Du bist doch so etwas wie ein Seelsorger?«
»Ja, auch. Wenn meine eigene Verfassung es zulässt, bin ich das sehr gern. Eigentlich liegt der Schwerpunkt meiner Arbeit aber in der Organisation von Hilfe. Wie heißt du überhaupt?«
»Stine, ich bin Stine.«
»Joachim.«
»Matthias. Ich weiß!«
»Stine. Mir scheint, dass du Hilfe brauchst. Ich kann dir gerne die Telefonnummer der Seelsorge für junge Erwachsene geben.«
»Ehrlich gesagt habe ich ganz speziell Fragen an dich«, sage ich, rutsche auf meinem Stuhl hin und her und drücke die Zigarette so aus wie Iris damals. Dann stütze ich meinen Kopf in die Hände und sehe ihn lange an, ohne zu blinzeln. Langsam wirkt auch er ein wenig verunsichert.
»Hör zu, Stine, ich weiß zwar nicht, was das hier soll, aber du kannst mich gern alles fragen, was du willst.«
Ungeschickt versucht er, den Kellner auf sich aufmerksam zu machen.
»Warum sitzt du bei dem schönen Wetter eigentlich hier drinnen?«, frage ich.
»Ich bin allergisch gegen Insektenstiche. Sie können tödlich für mich sein.«
»Das ist ja beängstigend«, flüstere ich, falte die Hände und sehe ihm dann wieder lange, ohne zu blinzeln, in die Augen.
Er senkt den Kopf.
»Glaubst du, dass Allergien auch psychische Ursachen haben können?«
»Inwiefern?«
»Na ja, vielleicht so eine Art unbewusst selbstauferlegte Strafe vielleicht.«
»Das weiß ich nicht. Ich jedenfalls habe schon seit meiner Kindheit eine Vielzahl allergischer Probleme.«
»Ich auch, also keine Allergien, aber Probleme.«
»Nun, dann hoffe ich sehr, dir helfen zu können, zumindest könnten wir uns gemeinsam eine Strategie überlegen, wo und wie du dir am effektivsten helfen lassen könntest. Aber lass uns jetzt erst mal was essen, such dir was aus, ich lad dich ein.«
Ich blättere eine Weile in der Karte und sage:
»So eine große Auswahl, man weiß gar nicht, was man nehmen soll. Vor allem, wenn man Hunger hat. Da scheint einem ja alles appetitlich!«
Er zuckt mit den Schultern und beginnt, seine Quiche zu essen, stopft sie richtig in sich hinein.
»Entschuldige die schlechten Manieren, aber ich hatte heute bisher nur ein paar Snacks.«
»Kein Problem, Manieren sind bei mir zu Hause eine unbekannte Größe.«
Er hört auf zu essen, lehnt sich zurück und schaut mich mit halbgeschlossenen Augen an. Als er meine Hand nehmen will, ziehe ich sie weg. Er sagt: »Die Welt hält einiges bereit. Auch für dich, Stine.«
»Bist du verheiratet?«
»Wie bitte?« Er verschränkt die Arme.
Die geplatzten Äderchen seiner Wangen röten sich. Seine Haut erinnert an Pergamentpapier. Er schluckt mehrmals, sein riesiger Adamsapfel ragt hervor. Ein richtiger Zacken, als stecke eine Haiflosse in seinem langen dünnenHals. Joachim Matthias’ Hals könnte nichts verbergen. Kein Rollkragen würde ausreichen, der Adamsapfel würde sich unter jedem Stoff abzeichnen oder ihn durchstechen.
»Warum willst du das wissen?«
»Ich weiß nicht, ob ich jemals heiraten werde. Die Ehe, die
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