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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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mir nicht übel, dass ich nicht immer nett sein kann, Kindchen, ich befürchte, sonst würde ich einschlafen, für immer, du verstehst?«
    Ich nicke. Eine Weile sagt sie nichts mehr, sie sieht durch mich hindurch, ihre Augen werden feucht, und die Mundwinkel erschlaffen.
    »Was ist mit Ihren richtigen Haaren passiert?«, frage ich.
    »Bitte, was? Ach so, ja. Na, ich bin doch schon über neunzig, aber du hast recht, sie sind mir schon mit sechzig alle ausgegangen. Du hingegen hast Haare wie aus dem Märchen.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Ach, was für eine Frage, natürlich, das fragt jeder. Lass mich kurz überlegen. Kinder? Zumindest besuchen mich nie welche. Aber man hört ja oft, dass die Kinder nicht zu Besuch kommen, weil die Alten nicht aufhören zu reden, damit die Kinder keine Gesprächspause nutzen, um sich zu verabschieden. Was meinst du, wie kann man Menschen noch dazu bringen zu bleiben?«
    »Indem man ihnen Komplimente macht«, antworte ich.
    »Du hast recht, sogar ein gelogenes Kompliment wirkt verlässlich. Komplimente sind der Soßenbinder jeder Beziehung!«, sagt Frau Bonne.
    »Machen Sie mir ein ehrliches Kompliment, sonst geh ich!«, sage ich.
    »›Ehrlich‹ ist doch langweilig. Ich kann dir sagen, dass du tolle Haare hast, aber das hörst du ständig, stimmt’s? Wenn ich dir aber sage, du hast eine zierliche Nase, wärst du baff!«
    »Das war jetzt schon wieder gemein!«, sage ich.
    »Nein, hässlich ist deine Nase nicht, sie ist nur keine Stupsnase.«
    »Stimmt, dann belügen Sie mich eben.«
    »Nein, das ist gar nicht nötig! Ich mach dir jetzt ein Kompliment: Ich hab mehr Lust, dir was von mir zu erzählen, als Lust, dich zu vergraulen. Das ist erstaunlich!«
    »Wenn es interessant ist, was Sie zu sagen haben, hör ich sogar zu. Legen Sie los!«
    »Gut. Damals also, da hatte ich noch viele, aber sehr dünne Haare. Meine Töchter hatten auch solche. Aber ihre waren seidig. Vom Vater hatten sie die Farbe.«
    »Wie viele Töchter hatten Sie denn?«
    Sie antwortet mir nicht, steht auf und verlässt die Küche.
    Als sie zurückkommt, legt sie ein zerknittertes Schwarzweißfoto auf den Tisch und sagt: »Das bin ich mit meinem grünen Hut. Mit Mitte dreißig hatte ich auf dem Kopf schon eine winzige Kahlstelle, vielleicht lag das am Krieg. Und ich war bereits Witwe.«
    »Oh, das ist … Das tut mir leid, ich …«
    »Ach, der Mann war ohnehin nur noch ein schlaffer Körper mit toter Seele, als er aus der Gefangenschaft kam. Doch als er dann ganz tot war, war ich eben auch ganz allein. Da lässt man schon mal ein paar Haare.«
    »Sie müssen mir das nicht erzählen, das geht mich schließlich nichts an«, sage ich schnell.
    »Natürlich muss ich das nicht. Du willst es dir ja bloß nicht anhören. Du willst nicht, dass es traurig wird, und du hast keine Ahnung, was Traurigsein bedeutet. Ich war so traurig, dass ich damals zwei Jahre nicht geweint hab, glaub mir, ich konnte es nicht mehr.«
    »Was haben Sie gemacht? Geschrien?«
    »Nein, ich saß bloß in dieser Küche und hab in den Raum gestarrt. Dabei sind mir die Haare ausgegangen. Nach zwei Jahren hab ich entschieden, dass Schluss sein soll mit dem Traurigsein. Ich schaute in den Spiegel und mir wurde klar, da oben ist nicht mehr viel. Ich glaube, es kam auch von der schlechten Ernährung. Ich hatte keinen Appetit und sah aus wie ein krankes Bäumchen, um das jeder Vogel einen Bogen machen würde. Also bin ich dann jeden Tag in ein Restaurant oder hab Gäste eingeladen, Nachbarn, andere Witwen. So musste ich etwas essen und mich zurechtmachen. Die Haare trug ich zu einem strengen Knoten gebunden, damit man die Kahlstelle nicht sah. Und wenn ich ›streng‹ sage, meine ich das auch so. Ein ordentlicher Dutt muss wehtun. Davon sind dann auch die restlichen Haare ausgegangen.«
    Ich fange an, mich zu räuspern, wie Reiner in solchen Momenten. Schließlich sage ich:
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, entschuldigen Sie bitte, aber ich dachte, ich soll Ihnen was einkaufen, Sie schreiben mir eine Liste undso, und hinterher wollte ich hier nur putzen und wieder gehen. Könnte ich vielleicht einen Schluck von dem Brandy da haben?«
    Sie strahlt mich an:
    »Das war doch mal ehrlich, Kind! Das Zeug schmeckt, sag ich dir, so was Gutes kennst du nicht. Hol doch noch so ein Glas aus dem Schrank im Wohnzimmer, vielleicht ist es auch in der Vitrine.«
    Ich laufe den langen Flur entlang.
    Ich habe noch nie so viele verschiedene Gläser auf einmal in

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