Das Schwein unter den Fischen
einem Schrank gesehen. Dicht an dicht stehen zerbrechliche Schwenker in allen Farben, viele gibt es nur einzeln, hohe Weingläser, plumpe Kneipentulpen, verzierte Schnapsgläschen. Dazwischen auch viel gesprungenes Glas und Scherben. Schließlich finde ich in einem aufgeklappten Sekretär genau das Brandyglas, nach dem ich gesucht habe. Es ist klebrig. Ich schalte das Licht im Wohnzimmer aus, als ich es verlasse. Lilli ruft aus der Küche, ich solle es sofort wieder einschalten.
Nachdem ich das Glas abgewaschen habe, setze ich mich. Lilli hat sich schon eingeschenkt, und während sie mein Glas bis zum Rand füllt, meint sie: »Ist doch scheußlich, so ein dunkles Zimmer!«
»Aber es ist doch Tag«, entgegne ich.
»Tageslicht allein ist mir zu wenig. Trinken wir auf dich, Celestine!«
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
»Na, die Bullerbacke Joachim hat gestern am Telefon Bescheid gesagt, dass die humorlose Nonne wegbleibt und du mich nun besuchst. Er hat mich ermahnt, nett zu dir zu sein, ich solle dich nicht wegekeln, sonst komme er bald persönlich. Das wäre allerdings ein Schock! Ich bin nur nett zu guten Menschen.«
»Die Nonne war also kein guter Mensch?«
»Das weiß man bei solchen Leuten nie, die müssen sich ja nicht im richtigen Leben verantworten. Die frühstücken das Gutsein im Gebet oder schon durch ihre Konfession ab, glauben sie zumindest. Deshalb hab ich sie ein bisschen geärgert, aber Humor hatte sie keinen. Niemand kann ein guter Mensch sein, wenn er sich selbst nicht komisch findet. So jemand sieht sich nicht mit Distanz und erkennt nicht, wo er schlecht ist!«
Sie hält sich die Hand nah vor das Gesicht und sagt:
»Mach das mal, du siehst nicht einmal mehr die ganze Hand!«
Ich probiere es aus. Frau Bonne schaut in meine Tüten, holt einen Klostein heraus und reißt die Verpackung auf. Ich habe Zitrone gekauft, weil Dunja es aufgeschrieben hat.
Frau Bonne verzieht das Gesicht und zielt auf den großen Mülleimer.
»Ist das nicht der richtige Duft?«, frage ich.
»Duft, dass ich nicht lache! Darum geht es nicht. Ich will den, der das Wasser blau färbt. Zitrone macht gelbes Wasser, wie sieht das denn aus? Wie Pipi. Hast du eine Lieblingsfarbe für Klowasser?«
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Kennen Sie Yves Klein, den Maler? Er hat ein eigenes Blau erfunden.«
»Klingt nach einem Spinner. Einem Spinner mit viel Geld. Oder war er ein Freund der Familie oder sogar ein Familienmitglied?«
Ich muss lachen und sage:
»Nein, meine Familie ist eher, na ja, gewöhnlich, also, außer Tante Trixi vielleicht, der fällt immer was Neues ein, um an Geld zu kommen. Ich habe noch nie gesehen, dass sie was gemalt hätte. Aber wenn sie es tun würde, wäre sie mit Sicherheit eine Symbolistin – und zwar eine von den versauten!«
»Waren sie das nicht alle?«, fragt Lilli und schaut selig.
Sie steht auf und läuft geschäftig in der Küche herum, macht Kaffee in einer Blechkanne auf einer Gaskartusche neben dem Herd. Sie erhitzt einen ganzen Liter Milch in einem großen Kochtopf auf dem Ceranfeld, schenkt zwei Becher voll mit Kaffee, setzt jedem eine Milchhaube auf und kommt wieder zu mir an den Tisch. Sie erzählt:
»Heinrich hat mir diesen komischen neuen Herd einbauen lassen. Ich war so wütend deswegen. Er argumentierte, der olle Gasherd hätte das Leben aller Hausbewohner gefährdet. Es stimmt, denn je älter er wurde, desto größer wurden seine Flammen. Irgendwann wollten sie gar nicht mehr im Herd bleiben. Das neue Ding tut so, als würde es glühen, und es scheint alles in sich aufzusaugen. Magst du lieber alte oder nur neue Dinge?«
»Keine Ahnung, auch darüber hab ich noch nie nachgedacht«, antworte ich und denke an das vollgestellte Schlafzimmer von Oma Senta, in dem ich eine Weile wohnen musste. »Vielleicht kommt es darauf an, wem die alten Sachen vorher gehört haben.«
»Meine alten Sachen haben vorher alle mir gehört«, sagt Lilli und grinst.
»Ja, natürlich. Entschuldigung, ich wollte nicht, ähm …«
»Das macht doch nichts Celestine, für dich ist ›alt‹ eben etwas anderes als für mich. Wir haben alle unsere Zeit. Das ist nur gerecht.«
Sie trinkt den restlichen Kaffee in einem Zug aus und fährt fort:
»Ich habe dir ja noch immer nicht gesagt, wie alt ich bin!«
»Das müssen Sie auch nicht, schließlich ist man doch so alt wie man sich fühlt!«
Sie guckt mich empört an und sagt: »Findest du nicht, dass das ein wirklich blöder, unwahrer
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