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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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fröhlich.
    Ich warte. Der Knopf seiner Gegensprechanlage klemmt, die ganze Straße wird mit Django Reinhardt beschallt. Es dauert eine ganze Weile, dann reißt Heinrich die Tür auf, steht da und strahlt mich an wie ein Zirkusdirektor, der die Show eröffnet.
    Er ist riesig und trägt einen dunkelroten Samtanzug. Dichtes weißes Brusthaar schaut oben heraus, unten seine nackten Füße. Die langen weißen Haupthaare sind zu einem Mozartzopf geflochten. Im Gegensatz zu Händen, Füßen und Hals ist sein Gesicht orangebraun, als benutze er Selbstbräuner oder billiges Make-up. Seine leuchtend blauen Augen wirken künstlich, wie farbige Kontaktlinsen, dazu dicht getuschte Wimpern, blauer Lidstrich und eine beeindruckend große Nase. Seine Zehennägel wachsen geschwungen nach oben und sind spitz gefeilt, sie erinnern mich an orientalische Schnabelschuhe. Auf die Haut seiner Füße sind Blumenornamente tätowiert.
    »Bist du Theaterschauspieler?«, frage ich und blicke auf.
    »Ho, ho! Vielleicht. Nein, hübsches Kind, eher ein Straßen-Bajazzo, undüberhaupt, ich war Dirigent, der große Heinrich Eckhout! Hast du noch nie etwas von mir gehört?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Keine Sorge, ich bin nicht eitel.«
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
    »Mein Aufzug ist in der Tat ein wenig ungewöhnlich, das hoffe ich zumindest. Aber immerhin rasiere ich mir die Füße und die Nase von innen und außen. Die Schminke, ja, der letzte Auftritt ist noch nicht lange her, ich kam noch nicht dazu, sie abzuwaschen, und mir sind die Wattepuschel ausgegangen. Hast du vielleicht welche in deiner Tüte vom Supermarché? Das um die Augen steht mir doch ganz gut, nicht wahr? Oder lässt es mich ein bisschen schwul aussehen? Na, und wenn schon.«
    »Bist du nun Schauspieler oder Dirigent?«
    »Ja, hast du denn noch nie von dem berühmten Schauspieler Heinrich Eckhout gehört? Ich spiele nur noch auf der Straße, ein Hobby, sagt man, schlicht und schlecht. Es ist ein Vergnügen, ich trete zusammen mit meinem jungen Freund auf, er ist vielleicht an dir vorbeigekommen?«
    »Das war dein Freund?«
    »Er wohnt bei mir, seine Eltern sind keine guten Menschen, sie lieben ihn nur, wenn er macht, was sie wollen. Er will Straßentheater spielen, musizieren und auch mal die Beine hochlegen, um zu denken. Und das wollen sie nicht. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Hast du ein Verhältnis mit ihm?«, frage ich.
    »Ja, ein sehr gutes Verhältnis sogar! Und du und ich, wir beide haben uns seit der ersten Begegnung an der Sprechanlage ja auch schon enorm gesteigert, findest du nicht?«
    Er hält mir die Tür auf. Drinnen ist es kühl, es fällt kaum Tageslicht in den hohen Eingang. Über mir schwingt ein riesiger Kronleuchter hin und her, nur wenige seiner Kerzen funktionieren. Die Wände sind fast bis zur Decke dunkelgrün gekachelt, die Treppenstufen sind aus dunklem Holz, das Geländer ist rot lackiert, ich stehe auf einem orientalischen Teppich. Heinrich schreitet großen Schrittes an mir vorbei und macht einen Sprung auf die dritte Treppenstufe.
    Ich versuche, hinter ihm her die Stufen hochzukommen, ohne zu weit zurückzufallen. Er hat so lange Beine, dass er vier Stufen auf einmal schafft. Er ist nicht mal aus der Puste, als wir vor Frau Bonnes Tür stehen.
    »Voilà! Chez Lilli!«, ruft er, verbeugt sich tief, greift hinter meine Füße und zieht ein Gänseblümchen hervor.
    Er klopft an die Tür. Nichts passiert. Dann holt er einen Schlüssel aus der Hosentasche und schließt auf. Frau Bonne sitzt mitten in ihrem Wohnzimmer unter einer Trockenhaube. Um sie herum drei Stehlampen, die trotz des hellen Tageslichts eingeschaltet sind. Als sie uns sieht, winkt sie und schaltet das Gerät ab. Darunter kommt eine völlig zerzauste, weißblonde Perücke zum Vorschein. Es riecht angebrannt. Die angesengten Haare verrutschen und entblößen die Glatze von Frau Bonne. Herr Eckhout rückt sie zurecht, Frau Bonne grinst und wendet sich ohne Umschweife an mich:
    »Weißt du, diese Perücke hat nicht meine natürliche Haarfarbe, aber an die kann ich mich sowieso kaum noch erinnern. Vielleicht war sie in etwa so wie deine, Kindchen. Nein, heller, deine sind auch zu durcheinander. Das ist interessant, Frisuren sind was für alte Frauen. Ab einem bestimmten Alter tragen fast alle Frauen die Haare gleich. Nicht lang, nicht kurz, bloß frisiert.«
    Die Tür fällt zu, Heinrich ist weg. Frau Bonne mustert mich und sagt:
    »Ich hoffe, du willst mich nicht baden, wie die

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