Das Schwein unter den Fischen
alles ist gut, nur nicht für das Bürschchen, das hier wohnt. Er hat eine Psychose und wollte nackt an der Hauswand hochklettern. Er hätte sich wenigstens eine Badehose anziehen können. Sie haben die Tür aufgebrochen und ihn grad noch so auf dem Balkonerwischt. Er dozierte vom Balkon aus Geschichten fürs Volk – von Bin Laden über seinen Vater bis Michael Jackson war für jeden was dabei. Er wandte sich als Nackedei an die ganze Welt. Dabei konnte man ihn nicht einmal unten auf der Straße richtig verstehen. Gleich bringen ihn die Wächter, wie er sagt, ins Haus von Mahony Mullah und Data Hugenott.«
Ich meine in dem Typen mit der Psychose Malte, Désirées Exfreund, zu erkennen, ganz dürr geworden. Er grüßt mich verschwörerisch. Die Boxershort, die man ihm wohl angezogen hat, sitzt zu weit.
»Du hast bestimmt Hunger«, sagt Heinrich. »Ich habe vorhin Aal mit grüner Soße gemacht. Wenn Marzipan, die Katze aus dem zweiten Stock, nicht schneller war, können wir jetzt Aal essen. Lilli macht ein Nickerchen, sie war den ganzen Tag auf dem Friedhof! Enki habe ich heute noch nicht gesehen. Magst du grüne Soße?«
»Weiß nicht, was ist denn da Grünes drin?«, frage ich vorsichtig.
»Na, jedenfalls kein Waldmeister! Hoho! Komm, Stineska, wir machen für uns noch was aus diesem Tag. Ich folge Heinrichs schnellen Schritten nach oben, Marzipan huscht flink zwischen seinen Beinen hindurch aus der Wohnung. Heinrich dreht sich zu mir um und sagt:
»Dann eben grüne Suppe ohne Einlage!«
Er läuft den langen Flur entlang, an der Küche vorbei. Heinrich ruft aus seinem Rumpelzimmer:
»Ich zeige dir leere Leinwände, die du beim Aufräumen übersehen hast!«
»Ich habe bestimmt nichts übersehen! Und warum sollte ich mir eine leere Leinwand ansehen?«
»Warum nicht? Es ist das vollkommene Bild, man kann darauf alles sehen, was man will.«
»Lilli sagt, das kann man überall.«
»Hat sie da recht? Ja, das hat sie!«
»Also brauchen wir nicht einmal Leinwände. Wir können uns einfach die Wand angucken oder die grüne Soße, da kann man alles, was man will, sogar in Grün sehen.«
Heinrich kommt ohne Leinwände um die Ecke gebogen, in seinem Haarhängen Staubflusen. Er hat nicht gefunden, wonach er gesucht hat, macht aber dennoch ein vergnügtes Gesicht, reibt sich die Hände, geht schnurstracks an mir vorbei in die Küche, wirbelt herum, ohne dass ich erkennen kann, was genau er vorhat. Dann setzt er sich auf den Herd und nimmt den Topf mit der Soße auf den Schoß. Er gießt zwei Becher Sahne hinein, salzt und pfeffert maßlos nach.
»Ist die Herdplatte nicht an?«, frage ich.
»Ja, aber nur auf Stufe zwei. Hilft gegen Flatulenzen!«
»Flatu … was?«
»Blähungen. Fürze.«
»Ach so, aber wenn es nicht hilft, wirst du auf die Herdplatte flatulieren. Es wird stinken, und womöglich wird das Haus abbrennen.«
»Nein, das wird es nicht. Und jetzt Ruhe im Auditorium, ich muss nachdenken.«
Nach einer Weile scheint Heinrich zu Ende gedacht zu haben. Er grinst breit, reißt die Augen auf und zieht die Brauen hoch wie ein Clown. Mit dem Zeigefinger deutet er auf etwas, das ich nicht sehen kann, und sagt feierlich:
»Damals! Was auch immer ›damals‹ in deiner Vorstellung bedeutet, sagen wir, nach dem Krieg, das ist immer noch lang genug her, man muss sich aber nicht mehr die Nazis vorstellen. Also in einer Zeit, in der ich jung war und du nirgends, da gab es eine Menge Mädchen, von denen man nicht wusste, wie sie wirklich waren, weil sie sich nur an Vorschriften hielten: Fanatikerinnen! Sie waren, wie Fanatiker im Allgemeinen, niemals selbstironisch. Genieß die Jugend, sonst verlierst du mit vierzig bestimmt ständig die Contenance. Nichts ist peinlicher als jemand, der seine Pubertät nachholt!«
»Worauf willst du hinaus?«, frage ich.
»Da du bald eine Reise in den Süden machst, an der ich bedauerlicherweise nicht teilnehmen werde, kannst du mir ja eine Postkarte schreiben. Wäre ich dein Liebhaber, wäre diese Karte gewiss ein mehrseitiger Brief!«
»Junge Frauen schreiben heute nur noch selten mehrseitige Briefe, eher betrinken sie sich im Urlaub …«
»… und ertrinken nach dem Liebesspiel im See um Mitternacht, wie romantisch!«
»Nein, um Mitternacht tanzen sie mit Drinks und Zigaretten in den Händen. Gegen vier gehen sie auf die Toilette und kotzen.«
»Das ist gut, man soll auch nicht in einen See kotzen! Und was machen die jungen Frauen von heute, nachdem sie gekotzt
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