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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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haben?«
    »Sie kauen Zahnpflegekaugummis, haben Sex und trinken weiter, bis es hell wird.«
    Heinrich springt plötzlich auf und rennt hinaus. Kurz darauf kommt er mit einem Stapel Leinwände zurück. Als er die Küche betritt, fallen sie alle zu Boden. Es staubt bis zur Decke.
    »Ich will sie dir gern schenken, vielleicht kannst du was damit anfangen. Ich male nicht mehr, ich habe es nur ein Mal versucht. Aber bevor ich anfing, hatte ich mir schon all diese Materialien besorgt. Ich war ein eingebildeter, junger Fatzke.«
    Heinrich trommelt auf den Herd, kippt die grüne Soße in einen größeren Topf, zerteilt einen ganzen Knoblauch, wirft beide Hälften hinein, gießt Brühe und Weißwein nach. Schließlich serviert er eine hellgrüne Suppe. Wir essen in der Küche. Die Suppe schmeckt so ähnlich, wie alles, was Oma Senta immer gekocht hat. Nachdem alles verkocht und der Geschmack bloß noch ein freudloses Einerlei war, rührte sie in jedes Gericht eine Unmenge frisch gehackte Petersilie. Ich weiß nicht, ob sie eine Vorliebe dafür hatte oder ob sie selber an ihrer Kochkunst zweifelte. Selbst nachdem Reiner durchgesetzt hatte, dass die Petersilie in einer Schale beigestellt wurde, griff Oma Senta in einem Moment, in dem Reiner unaufmerksam war, zu und verteilte sie auf die Teller. Wenn Reiner seinen Mund zum Protest öffnete, kam sie ihm zuvor und sagte: »Vitamine, Reinerchen, grüne Vitamine, im Grünen da ist alles drin!«
    Ich erzähle Heinrich von Oma Sentas Petersilienmacke. Er reißt mir den Teller aus der Hand:
    »Aber dann darfst du das nicht essen! Essen ist auch etwas Metaphysisches, das muss man ernst nehmen. Petersilie ist Gift!«
    Er schmiert mir ein Brot, schneidet eine kleine dicke Wurst in kleinedicke Scheiben und sagt, Wurst sei das Gegenteil von Petersilie, und dass es sich um eine italienische handeln würde. Heinrich erklärt mir, dass es auf dem Markt von Grillo unzählige Wurstsorten gebe. Jedes Mal entdecke man neue: harte und weiche, runde, einzeln oder aneinandergeknüpft, einmal hätte er sogar dreieckige Wurst bekommen. Heinrich verschwindet und kommt mit einer aufgeschlagenen Landkarte zurückgeflattert. Ich kann ihn gar nicht mehr sehen, da er die Karte komplett aufgeschlagen vor sich herträgt. Er wirft sich und die Karte auf den Boden, fährt mit dem Finger darauf herum und sagt:
    »Schau hier, hier ungefähr liegt Grillo. Meine Karte ist zu alt, wahrscheinlich gab es damals noch gar nicht so viele Einwohner dort wie heute, darum hat der Ort keinen eigenen Punkt bekommen. Weit oben im Hinterland liegt er, trotzdem ist es vom See aus nur ein Spaziergang dorthin. Außer es geschieht etwas Unvorhergesehenes. Links von der Stadt gibt es einen kurzen Anstieg, nicht beschwerlich, wenn man jung ist. Du musst nur die Treppen hinaufsteigen, dann überquerst du eine große Straße und gehst vorbei an vielen alten Mauern und Hecken und an ein paar felsdurchsetzten Hängen. Wenn du dich dann umdrehst, siehst du den See blau glitzern und funkeln. Natürlich nicht, wenn es neblig ist. Man muss den piemontesischen Nebel ernst nehmen, er ist dicht, so dicht, dass häufig Gäste an ihren Hotels und Pensionen vorbeilaufen. Manchmal sieht man diese Touristen nie wieder. Wenn Nebel ist, fordere ihn nicht heraus, warte an Ort und Stelle, bis der Nebel sich auflöst. Gibt es ein Gewitter, musst du dich auf den Boden legen. Meine selige Mutter sagte immer, mir seien die Zehennägel nach oben gewachsen, weil zu Beginn ihrer Schwangerschaft gleich neben ihr ein Blitz in eine Blutbuche eingeschlagen war.«
    Ich setze mich zu Heinrich auf den Boden. Er fährt immer weiter mit dem Finger über die Karte.
    »Hier ist das Eremitenkloster, dahinter beginnt ein bewaldeter Hang, an dem ein Weg verläuft. Wenn du an einem Graben vorbeikommst, musst du dich rechts halten und durch ein lichtes Wäldchen an einem steinigen Flussbett entlanggehen. In der Mitte verliert der Hang an Höhe, sodass dubequem wieder aus dem Wald herauskommst. Direkt am Waldrand beginnt der Pfad zu Lollos Haus. Es gibt einen zweiten Pfad, der etwas schmaler ist. Wenn du eine Brücke erreichst, bist du falsch! Eigentlich müssten auch einige Schilder zur Villa Alba weisen, so hieß übrigens Geppettos Mutter. Aber man weiß nie, ob so ein Schild mitten in der Natur richtig steht. Außer Wandertouristen sind dort nur Kinder unterwegs. Und Kinder finden Touristen meist ziemlich merkwürdig, weil sie das Touristsein noch nicht verstehen. Man kann

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