Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
hübschen Abstand zueinander und eine wohlproportionierte Stirn, über die ein leichter Vorhang von glattem braunem Haar fiel. Hinzu kam eine ihn kennzeichnende Besonderheit: Er hatte einen breiten Mund und eine ebenso breite Zunge, die aber von der wuchtigen Kinnlade und dem breiten Mund nicht recht unterstützt wurde. Eingeengt durch im Wege stehende Zähne, blockierte die Zunge die an ihr seitlich vorbeiströmende Luft und verlieh der Redeweise des gutaussehenden Francis ein leichtes Schlurfen,
s
im Wortwurde zu
sch
, etwa »was« zu »wasch«. Manche hielten das für einen Sprachfehler, andere fanden es irgendwie gewinnend, und allgemein wusste man, dass die Zunge des netten Burschen nicht selten Zuspruch erfuhr und somit reich entschädigt wurde für die Schwierigkeit bei Rede und Lautformung.
Aaron hätte sich am liebsten in eine der Nischen hinten an der Rückwand verzogen, hielt es aber für unfair und unklug, so viel Raum für sich allein in Beschlag zu legen – umso mehr als »allein« das Stichwort für den heutigen Abend war. Er wollte allein sein. Und er war es auch. Es war ein ungemein schwieriger Tag gewesen, ein Tag voller Abhaltungen. Sein Gehirn hatte allerhand Stöße erhalten, war vollgestopft, mal umgekrempelt und mal um und um gedreht worden. Kein Wunder – bei einem Skelett und drei Mordverdächtigen, eine davon seine Verwandte, die andere eine Frau mit vielversprechender Ausstrahlung, und der dritte – ein Mann –, offenbar der Erzfeind der Frau, die er liebte, nämlich Aarons rätselhafter Tante.
Den Mann hielt Aaron am ehesten für tatverdächtig – nicht bloß aus dem Kavalierimpuls heraus, die Damen zu schonen, sondern aufgrund einer überzeugten Entscheidung, die ganz einfach der Gewissheit entsprang, dass eine der Verdächtigen zu seiner Familie gehörte und die andere eine Frau mit kastanienbraunem Haar war. Aus ihrem Ankläger hatte er sich zum selbsternannten Beschützer gewandelt. Er war sich seines Urteils so sicher, dass er sich versucht gefühlt hatte, einmal mit dem Skelett allein geblieben, die
gardaí
zu rufen und der Justiz den Lauf der Dinge zu überlassen.
Kitty war nach London geflogen, um einen Vertrag über ihr jüngst fertiggestelltes Werk zu unterzeichnen: eine Korrektur des
Oliver Twist
, in der es Nancy gelingt, Bill Sykes zum Guten zu bekehren, ihn zu heiraten und Oliver zu adoptieren, wonach alle drei ein tätiges und spannungsreichesLeben im London der einfachen Leute führen. Kitty plante sogar, ihre fruchtbaren Einfälle nächstens weiter zu verwirklichen: Oliver sollte Klein-Nell heiraten, die, ganz passend, nicht gestorben war, es aber bald in Olivers Armen tun würde.
Lolly unternahm einen weiteren Versuch, ihre Schweine auf den Markt zu bringen, und stand, ebenso wie Kitty, nicht vor morgen Abend für Beratung und Beschlussfassung zur Verfügung. Lollys letzte Worte, ehe sie losfuhr, waren: »Fang ja nicht an, die Knochen zu begraben, bevor ich zurück bin.« Kitty hatte eine ähnliche Weisung hinterlassen, bevor sie sich zum Flughafen aufmachte, und hinzugefügt: »Er wird sich da wohl fühlen, wo er ist, bis ich nach Hause komme.«
Aaron hatte sich gestattet, ein paar Minuten allein mit Declan in der Priesterstube zu verbringen, der dort aufgebahrt war. Sollte der Knochenmann doch selbst sagen, was zu unternehmen sei: die
gardaí
rufen, ihn wieder beerdigen oder ihn seine Ruhe genießen lassen nach so einem hektischen Tag mit dem Ordnen und ständigen Umsortieren der Gliedmaßen, dessen sich die beschuldigten und sich beschuldigenden Frauen befleißigt hatten. Aaron hatte angestrengt auf den Schädel geschaut, hatte aber nur unverhohlenes Vergnügen darin erkennen können. Aus dem Grinsen schloss Aaron, dass der Mann seine Freude hatte an all dem Durcheinander. Eine schnelle Entscheidung, was mit ihm geschehen sollte, war wohl das Letzte, das er sich wünschte. Das verlockte Aaron, ihn in sein Grab zu werfen, zusammen mit dem Werkzeugbeutel, und Erde und Kohl und Steine und sonstige profane Gegenstände, die sich in der Umgebung finden ließen, auf ihn zu häufen.
Doch dann würden entweder die Frauen oder das Schwein ihn wieder ausgraben. Die einzig mögliche Lösung waren die
gardaí
. Kaum hatte Aaron den Telefonhörer in der Hand, stieß ihm auf, dass sich die Behörde seiner Mordtheoriemöglicherweise nicht anschloss, dass Sweeney, ungeachtet aller Schuld, die er ihm zuschob, unschuldig wäre und dass der anklagende Finger auf jemand weisen
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