Das Schwert der Keltin
dachte eher daran, dass wir uns ein ruhiges Plätzchen in Gallien suchen. Aber ich denke, vorher sollten wir alle darum beten, dass es gar nicht erst so weit kommt. Ein halbes Jahr in der Gesellschaft des jeweils anderen dürfte wohl wirklich für keinen von uns mehr erträglich sein.«
XXVI
Hellwach, wie schon den größten Teil der Nacht, lag Valerius neben den glühenden Resten eines nächtlichen Feuers und zählte in der vergeblichen Bemühung, zu vergessen, wo er sich gerade befand und vor allem mit wem und wie es überhaupt dazu gekommen war, die am Nachthimmel verblassenden Sterne.
Es verlangte ihn nach Wein, äußerst dringend sogar, doch Wein gab es nicht. Drei Krüge hatte er von Rom aus mitgenommen, und er war der Ansicht gewesen, dass dies mehr als genug sein würde, um die ganze Reise über zu reichen. Tag und Nacht hatte er die Dosierungen immer wieder sorgfältig abgemessen, hatte sich nur so viel von dem Wein genommen, wie er gebraucht hatte, um die Geister auf Abstand zu halten, die Stimmen zum Schweigen zu bringen und sein schneidendes Lächeln gegen den immerwährenden, ihm von Caradocs Familie entgegenschlagenden Hass aufrechtzuerhalten.
Je länger ihre Reise jedoch andauerte und je mehr sie sich Gesoriacum näherten und damit auch den Erinnerungen an Caligula und Corvus, an Amminios und Iccius, an die Bilder von Hass und Liebe und Rache und Tod, desto mehr Wein hatte Valerius gebraucht, um zumindest noch den Anschein des Gleichmuts zu bewahren. Den letzten Krug hatte er somit vor drei Tagen schon geleert, und seitdem fürchtete er ständig um seine geistige Gesundheit. Überraschenderweise hatte ihm in gerade dieser Situation aber Philonikos geholfen und aus seinem Vorrat an Arzneien einen sehr scharfen Honiglikör hervorgeholt, der so stark war, dass er sich förmlich durch Valerius’ Kehle hindurchfraß und ein Taubheitsgefühl in seinem Körper auslöste, das sich bis in seine Glieder ausbreitete. Angesichts eines so starken Getränks hatte sogar das Flüstern aus der Vergangenheit den Rückzug angetreten, und selbst die Gegenwart schloss sich nicht mehr ganz so erdrückend um ihn. Zwei Nächte lang hatte Valerius ruhig durchgeschlafen. Erst an diesem letzten Abend, als ihr Ziel schon zum Greifen nahe schien, hatte Xenophons Schüler sein Geschenk ganz unverständlicherweise wieder an sich genommen, und Valerius bekam den Verlust bitter zu spüren.
Die Sterne verblassten viel zu schnell. Im Gegensatz zu seiner Zeit in Britannien, als Valerius jede Nacht darum gebetet hatte, dass das Licht der Götter rasch wieder erstrahlen solle und die Träume der Nacht zurück in ihre Verbannung schicken möge, hegte der Dekurio hier, an diesem Ort und in dieser Gesellschaft, so gar kein Bedürfnis danach, so bald einen neuen Tag anbrechen zu sehen. Sogar seine nächtlichen Träume hätte er noch vorgezogen, wenn diese die Erinnerungen an seine erste Reise nach Gesoriacum verdrängt hätten, die Erinnerung an den Menschen, der er einmal gewesen war, bevor er hier an Land ging; und die Bilder dessen, der er wiederum davor gewesen war; und sein Wesen vor dieser Person, und so fort. Oder wenn die Träume doch nur für einen einzigen Augenblick die Anwesenheit Caradocs hätten auslöschen können und die damit einhergehenden ständigen stummen Vorwürfe.
In Caradocs Wohnung und selbst während ihres ersten Tages jenseits des Stadtgebiets von Rom hatte die grenzenlose Ironie dieses Eides, den Xenophon Valerius abgerungen hatte, noch wie ein Schutzschild für ihn gewirkt; mit Beginn der Straße, die sie nach Norden führte, hatte diese Waffe jedoch keinen langen Bestand mehr gehabt. Der Dekurio war es gewohnt, dass man ihn fürchtete - selbst Longinus hatte nun Angst vor ihm bekommen. Allerdings pflegte man ihn auch dann noch immer zu respektieren; sogar die Gallier, die Umbricius unterstützt hatten, taten dies. Bis zu dieser Reise also hatte er nicht gewusst, wie sehr er von diesem Respekt abhängig gewesen war, wie sein Fehlen an ihm zehrte. Doch er musste diesen letzten Tag jetzt durchstehen, und zwar ohne jegliches äußerliches Anzeichen dafür, was ihn dies für Anstrengungen kostete. Dafür aber mit dem Versprechen seines Gottes, ihn stetig weiter auf den erfolgreichen Abschluss dieser Reise zuzuführen, und mit dieser Unterstützung, so hoffte Valerius, würde er es schließlich schaffen können. Tief in seinem Inneren aber wusste er bereits, dass er kaum mehr als diesen letzten Tag noch zu leben
Weitere Kostenlose Bücher