Das Schwert der Keltin
hatte.
Mittlerweile waren die Sterne endgültig verblasst. Die Sonne stieg am östlichen Horizont auf, und zwischen die Bäume ergoss sich das Licht der Götter, legte sich dämpfend auf den letzten schwachen Schein des Feuers. Die ganze Nacht über war von ihrem Feuer kein einziges Rauchwölkchen aufgestiegen - Valerius hatte es sehr sorgfältig aufgeschichtet und nur Holz verwendet, das bereits in der Nacht zuvor getrocknet worden war -, dennoch aber schwebte nun ein Schwall der noch erhitzten Luft leicht nach links hinüber und zeigte damit einen Umschwung der Brise an. Als der Wind dann endgültig Richtung Süden drehte, änderte sogar das Lied des Flusses leicht seine Tonlage, und irgendwo, in weiter Ferne, begann ein Hahn zu krähen.
Valerius warf seinen Umhang von sich und stand auf. Es war einfach eine Frage der Ehre, dass er sich morgens stets als Erster erhob, ebenso wie auch er derjenige sein musste, der die Feuer ihrer Verfolger zuerst entdeckte. Denn daran, dass sie verfolgt wurden, bestand kein Zweifel. In diesem einen Punkt war der Dekurio selbst den Kriegern, die er führte, noch überlegen; exakt konnte er das genaue Ausmaß der Gefahr einschätzen, die Stärken des Verfolgers, seine Schwächen und, so glaubte Valerius zumindest, sogar seine Absicht.
In der auf die Nachtruhe folgenden körperlichen Bewegung lag eine gewisse Erleichterung. Lautlos überquerte er die Lichtung und wanderte entlang eines kleinen Pfades durch das spärliche Gehölz. Hinter sich hörte er das leise Tappen der Krieger, die sich nun ebenfalls erhoben hatten und jeder ihren eigenen Weg einschlugen. Schon bald war das Einzige, was Valerius noch vernehmen konnte, die etwas lauteren Schritte von Cunomar, der einfach zu lange in Rom gelebt und darum noch nicht gelernt hatte, wie man sich geräuschlos bewegte.
Nach zehn Tagen beständigen Regens war der Flusspegel mittlerweile recht hoch angestiegen, und der Fluss strömte breit und voller Schlamm dahin. Valerius machte eine kleine Mulde in der Uferböschung aus, in der der wirbelnde Fluss einige Blätter gesammelt hatte. Dorthinein erleichterte er sich und ging anschließend weiter den Strom hinauf, um nach den Pferden zu sehen und um sich sein Gesicht mit dem dort etwas saubereren Wasser zu bespritzen. Danach fühlte er sich schon besser. Der Weg am Ufer entlang führte in südlicher und westlicher Richtung weiter bis zu einer Stelle, wo sich der Fluss wieder verbreiterte und die Strömung langsamer wurde. Vorsichtig überquerte Valerius den Fluss auf glitschigen und tückischen Trittsteinen, wobei er jeden einzelnen davon zuerst nur langsam betrat und den Halt erprobte, den sein Fuß darauf fand. Am südlichen Ufer führte ein Rotwildpfad durch Dorngebüsch und um ein mit Gras bewachsenes kleines, enges Tal herum, das sich am äußersten Ende an einen steilen, bewaldeten Hang schmiegte. Valerius erkletterte den Steilhang und benutzte dabei die Wurzeln des Dorngebüschs als Halt. Schimmernd wie gehämmerte Bronze knirschten die Blätter der Blutbuche unter seinen Füßen. Die Beeren an den Dornbüschen waren in Vorahnung des Winters bereits zusammengeschrumpelt und hielten in schweren Tropfen den Morgentau gefangen, der nun wie Sprühregen an seinen Oberschenkeln hinabrieselte und kühlen Tränen gleich auf seine Wange fiel.
Oben auf dem Kamm des Hangs angekommen, bahnte Valerius sich einen Weg unter tief hängenden Ästen hindurch, bis er schließlich einen Punkt erreichte, an dem er einen guten Blick über eine überflutete Wiese und den dahinter liegenden Buchenund Eichenhain hatte. Über dem Blätterbaldachin stiegen dünne Rauchkräusel auf. Marullus, Zenturio der Zweiten Kohorte der Prätorianischen Garde, hatte es einfach noch nie verstanden, ein Feuer ohne Rauchentwicklung zu entzünden; vielleicht aber wollte er damit auch ganz bewusst auf seine Anwesenheit hinweisen. Als Warnung, die ein Vater einem seiner zahlreichen Söhne schickte, der durch ein ungünstiges Schicksal und einen zu sorglos gegebenen Eid auf die feindliche Seite geraten war, der aber dennoch nach wie vor unter dem segensreichen Schutze Mithras’ stand. Sie lagen noch nicht in offenem Konflikt miteinander, würden vielleicht auch niemals dahin geraten. Ihr Gott, so konnte man nur hoffen, würde dies verhindern.
Für eine Weile lag Valerius einfach nur ganz ruhig unter den Dornbüschen, ließ die kühle Luft und die Erleichterung, endlich einmal allein zu sein, ihr heilendes Werk vollbringen.
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