Das Schwert der Koenigin
stattdessen an sein Pflichtgefühl zu appellieren.
»Martil, ich brauche Eure Hilfe«, wiederholte sie. »Was sollen wir mit den Gefangenen machen? Einige von jenen, die Freunde und Verwandte in der Schlacht verloren haben, wollen sie hängen sehen. Barrett will, dass wir sie rekrutieren. Das Drachenschwert kann uns helfen zu entscheiden, ob sie sich uns ehrlich anschließen wollen oder lediglich einer Schlinge entfliehen wollen.«
»Ich kann sie nicht allein lassen. Ich muss hier sein, wenn sie erwacht.« Martil schaute zu Merren hoch und wünschte sich, dass sie verstand. »Ich habe ihren Vater getötet. Ich habe ihr das einzige echte Zuhause genommen, das sie jemals gekannt hat. Von Rechts wegen sollte sie mich hassen. Und doch hat sie sich fast geopfert, um mich zu retten.«
Merren holte tief Luft. Sie musste ihre Worte jetzt sorgfältig wählen. Wenn sie das Falsche sagte, würde sie nur das Gegenteil erreichen. »Sie liebt Euch. Ihr mögt sie nicht gezeugt haben, aber soweit es sie betrifft, seid Ihr ihr Beschützer.«
Martil drehte sich wieder zu Karia um, und Merren konnte sehen, dass seine Schultern bebten. Sofort wusste sie, dass Karia nicht der alleinige Grund sein konnte. Da musste noch mehr sein. Vorsichtig ging sie hinüber und legte ihm eine Hand auf die linke Schulter, denn ein blutiger Verband bedeckte die rechte. Als sie hinunterschaute, sah sie Tränen über sein Gesicht laufen. Er schluchzte nicht, sondern ließ sie nur eine Bahn durch das Blut, den Schweiß und den Schmutz ziehen und dann zu Boden tropfen.
»So viele tot, so viele verwundet, entweder durch meine Hand oder unter meinem Kommando, und doch weine ich wegen eines kleinen Mädchens«, sagte er leise und beinahe staunend.
»Weil Ihr ein guter Mann seid«, erwiderte Merren sanft, und ihre Kehle schnürte sich zu. Was sie jetzt tat, geschah mit Absicht, aber es entsprach auch ganz ihren Instinkten. Sie fühlte sich tatsächlich zu diesem widersprüchlichen Mann hingezogen: So tödlich in der Schlacht, so verletzbar abseits davon. Sie streichelte behutsam sein Gesicht, und er streckte wortlos die Hand nach ihr aus. Sie ließ sich auf seinen Schoß sinken, vorsichtig darauf bedacht, nur sein rechtes Bein zu belasten, denn der linke Oberschenkel war schwer bandagiert, und Blut sickerte durch den Verband. Er hielt sie fest, und Merren streichelte sein Gesicht und wischte etwas von dem getrockneten Blut und dem Schmutz fort, die durch die Tränen aufgeweicht waren. Er war in diesem Moment das Kind, erkannte sie. Sie musste behutsam sein, nicht nur wegen seiner körperlichen Wunden. Sie sollte jetzt genau wissen, wo sie die Grenze ziehen musste. Aber ihr wurde schnell klar, dass sie eigentlich gar keine Grenze ziehen wollte.
Martil hatte sich verloren gefühlt, als ertrinke er in einem Meer der Verzweiflung. Er hatte sich auf Karia konzentriert, weil er das Gefühl hatte, dass dies das Einzige war, was ihn daran hindern konnte, wahnsinnig zu werden. Aber die einfache Umarmung zu spüren, die Wirkung, die sie auf ihn hatte, war dramatisch: Fast sofort fiel die Anspannung von ihm ab, und er spürte, dass er selbst zurückkam wie von einer langen Reise. Während das Bewusstsein wiederkehrte, nahm er einen schwachen Duft von Lavendel an ihren Kleidern wahr und wurde sich mit allen Sinnen bewusst, dass sein Kopf an ihren Brüsten lag. Obwohl er über jedes erträgliche Maß hinaus erschöpft war, begann die Umarmung dennoch, mehr zu werden als ein simpler Trost. Und natürlich spürte er ihre Oberschenkel warm auf dem seinen und machte keine Anstalten, ihre Hand von der Hüfte zu nehmen. Als er aufblickte, sah er, dass sie sich all dessen ebenfalls bewusst war.
Merren war klar, dass sie bald würde aufstehen müssen, aber es fiel ihr immer schwerer, die beabsichtigten Grenzen zu wahren. Er war zweifellos ein würdiger Streiter, aber sie sah jetzt mehr in ihm als das und fühlte sich versucht abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden.
»Was ist los?« Karia gähnte und reckte sich.
Merren stand sofort auf und ging durch den Raum, wo ein Tablett mit Essen bereitstand.
»Wir haben etwas zu essen hier«, rief sie.
Martil hatte sich inzwischen auf die Knie sinken lassen.
»Papa! Es geht dir gut! Ich hatte solche Angst!« Karia drückte ihn an sich, und er erwiderte ihre Umarmung und spürte, wie ihre kleinen Arme sich um seinen Hals spannten und sie den Kopf an seine Wange schmiegte.
»Du hast mir das Leben gerettet. Du warst so
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