Das Schwert der Vorsehung
seufzte Geralt. »Niedamirs Berufung ist es, sich Malleore unter den Nagel zu reißen. Die Berufung Eycks von Denesle ist es, die Menschen vor den Drachen zu beschützen. Dorregaray fühlt sich zu etwas ganz Entgegengesetztem berufen. Yennefer kann aufgrund gewisser Veränderungen, denen ihr Organismus unterzogen wurde, ihre Berufung nicht erfüllen und quält sich deshalb schrecklich. Verdammt, nur die Haudegen und die Zwerge fühlen keinerlei Berufung, sie wollen sich einfach die Taschen vollschlagen. Vielleicht ist das der Grund, dass ich mich so zu ihnen hingezogen fühle?«
»Die sind es nicht, zu denen es dich hinzieht, Geralt von Riva. Ich bin weder blind noch taub. Nicht ihre Namen waren es, die dich kürzlich zum Geldbeutel greifen ließen. Aber mir scheint ...«
»Es sollte dir besser nicht scheinen«, sagte der Hexer ohne Zorn.
»Entschuldige.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
Sie zügelten die Pferde, gerade noch rechtzeitig, um nicht in die plötzlich stehen gebliebene Kolonne der Caingorner Bogenschützen hineinzureiten.
»Was ist los?« Geralt richtete sich in den Steigbügeln auf. »Warum haben wir angehalten?«
»Ich weiß nicht.« Borch wandte den Kopf zur Seite. Mit seltsam verzerrtem Gesicht sagte Vea rasch ein paar Worte.
»Ich reite vor«, erklärte der Hexer, »und seh nach.«
»Bleib.«
»Warum?«
Drei Dohlen schwieg einen Augenblick lang, den Blick gesenkt.
»Warum?«, wiederholte Geralt.
»Reit«, sagte Borch. »Vielleicht ist es besser so.«
»Was soll besser sein?«
»Reit.«
Die Brücke, die die beiden Ränder des Abgrunds verband, wirkte solide, aus dicken Kiefernbalken gebaut, auf einen viereckigen Pfeiler gestützt, an dem sich rauschend mit langen Schaumfäden die Strömung brach.
»He, Häcksler!«, brüllte Boholt, der gerade mit dem Wagen heranfuhr. »Warum hältst du an?«
»Was weiß denn ich, was das für ’ne Brücke ist?«
»Wieso sollen wir dort rüber?«, fragte Gyllenstiern im Heranreiten. »Es schmeckt mir nicht, mit den Wagen auf solchem Pflaster zu fahren. He, Schuster! Warum führst du uns da rüber und nicht auf der Straße? Die Straße führt doch weiter nach Westen?«
Der heldenhafte Giftmischer aus Barfeld kam näher, nahm die Schafspelzmütze ab. Er sah bemerkenswert aus mit seinem über den Bauernkittel geschnallten altmodischen Brustpanzer, der gewiss noch zu König Sambuks Zeiten gehämmert worden war.
»Da ist der Weg kürzer, gnädiger Herr«, sagte er nicht an Gyllenstiern, sondern direkt an Niedamir gewandt, dessen Gesicht weiterhin geradezu schmerzhafte Langeweile ausdrückte.
»So?«, fragte Gyllenstiern mit gerunzelter Stirn. Niedamir würdigte den Schuster nicht einmal eines Blickes.
»Das«, sagte der Schuster und zeigte auf drei über der Landschaft aufragende schroffe Gipfel, »sind die Chiava, der Ödstein und der Springerzahn. Die Straße führt zu den Ruinen der alten Festung und dann nördlich, hinter den Flussquellen, um die Chiava herum. Aber über die Brücke können wir den Weg abkürzen. Durch einen Hohlweg kommen wir auf die Ebene zwischen den Bergen. Und wenn wir dort keine Drachenspuren finden, reiten wir weiter nach Osten und suchen die Schluchten ab. Und noch weiter im Osten liegt ein schön glatter Talkessel, von da geht der Weg geradewegs nach Caingorn, zu Euer Majestät Ländern.«
»Und wo hast du, Zigenfras, so viel über diese Berge gelernt?«, erkundigte sich Boholt. »Beim Leisten?«
»Nein, Herr. Hab hier in jungen Jahren Schafe gehütet.«
»Und die Brücke wird halten?« Boholt richtete sich auf dem Bock auf, schaute hinab zu dem schäumenden Fluss. »Der Abgrund ist gut vierzig Klafter tief.«
»Sie hält, Herr.«
»Wo kommt in dieser Wildnis überhaupt eine Brücke her?«
»Diese Brücke«, erklärte Zigenfras, »haben vor Zeiten Trolle gebaut, wer drüberwollte, musste einen gepfefferten Preis zahlen. Aber weil selten jemand in die Gegend kam, haben die Trolle ihr Bündel geschnürt. Und die Brücke ist dageblieben.«
»Ich wiederhole«, sagte Gyllenstiern ärgerlich, »wir haben Wagen mit Gerät und Futter, wir könnten im weglosen Gelände stecken bleiben. Sollten wir nicht lieber auf der Straße bleiben?«
»Wir können auch die Straße nehmen« – der Schuster zuckte mit den Schultern –, »aber da dauert es länger. Und der König hat gesagt, dass es ihm mit dem Drachen eilig ist, dass es ihn zu ihm zieht wie die Weihe zum Regenwurm.«
»Zum Regen«, berichtigte der
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