Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
murmelte sie, «das darf doch nicht wahr sein.»
«Was ist?»
«Da drüben!» Sie deutete auf eines der Lehmhäuser, und jetzt sahen es die andern auch: Es war Ephrion. Seine Hände und Füße waren gefesselt, und er hing kopfüber an einer dicken Stange wie ein Schwein am Spieß.
Aliyah hielt sich die Hand vor den Mund. «Nein», hauchte sie. «Ephrion!»
«Die wollen ihn doch nicht etwa …», stammelte Miro und sprach den Gedanken nicht zu Ende.
«Wir müssen ihn da rausholen!», meinte Sihana entsetzt.
«Lasst mich das erledigen», knirschte Joash entschlossen und ballte die Fäuste. «Wenn die ihm auch nur ein Haar krümmen, mach ich Brei aus ihnen!»
«Nein», sagte Katara und drückte Joash, der bereits im Begriff war aufzustehen, zurück auf den Felsen. «Sei nicht dumm. Es sind zu viele. Warten wir, bis es dunkel ist. Dann schleichen wir uns unbemerkt an ihn heran und befreien ihn. Was meinst du, Miro?»
Miro nickte. «Ja. So machen wir es. Warten wir, bis es dunkel ist. Ganz deiner Meinung.»
«Und wenn sie uns erwischen?», fragte Sihana, und die Furcht raubte ihr schier den Atem. «Ich hab keine Lust, wie ein Ferkel über dem Feuer gebraten zu werden.»
«Wir dürfen uns eben nicht erwischen lassen», sagte Katara einfach, und als hätte sie Routine im Befreien von an Spießen hängenden Personen inmitten eines Kannibalenstammes, fügte sie hinzu: «Halte dich einfach an mich, dann wird dir schon nichts passieren.»
«Ist gut», piepste Sihana tapfer, obwohl ihr die Angst ins Gesicht geschrieben stand.
Und so machten sie es sich einigermaßen gemütlich und warteten auf die Dunkelheit.
16
Es kam ihnen wie eine Ewigkeit vor, bis es endlich dunkel genug war. Im Verlauf des Nachmittags hatten die Dorffrauen allerlei undefinierbare Speisen zubereitet und in riesige flache Schüsseln verteilt. Das große Feuer in der Dorfmitte wurde angezündet, und die bemalten und festlich geschmückten Männer, Frauen und Kinder strömten von allen Seiten herbei. Die Zeremonie begann. Aliyah fiel auf, dass es im ganzen Dorf überhaupt keine alten Leute zu geben schien.
Ein paar Burschen mit eisernen Masken, imposanten Federkleidern, Glöckchen an den Füßen und Rasseln in den Händen begannen stampfend ums Feuer herumzutanzen. Die Bevölkerung hockte im Schneidersitz auf dem Boden. Junge Männer spielten mit den Händen auf Trommeln, die sie sich zwischen die Beine geklemmt hatten, während die Mädchen im Takt dazu einen eintönigen Gesang anstimmten und dazwischen immer wieder schrille Töne ausstießen. Der Rhythmus der Trommeln wurde immer wilder, der Tanz der Männer immer ekstatischer. Staub wirbelte auf, Schatten zuckten über die Wände der Hütten, Füße stampften, Hände klatschten, Körper vibrierten und drehten sich im Kreis. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung.
«Los!», gab Katara das Zeichen zum Aufbruch und kletterte flink vom Felsen herunter. Die andern folgten ihr. Geduckt huschten die Gefährten im Schutz der Dunkelheit bis zu den ersten Lehmhütten. Dass alle Dorfbewohner ums Feuer saßen, tanzten und feierten, war ihnen nur allzu recht. So konnten sie sich ungehindert zwischen den Hütten hindurchschleichen, ohne entdeckt zu werden. Neben dem Eingang eines dreistöckigen Lehmhauses fand Katara einen Speer, den sie kurzerhand mitnahm. Sie gingen unter ein paar gespannten Schnüren hindurch, an denen allerlei unappetitlich aussehendes Fleisch hing. Sie wollten lieber nicht daran denken, woher das Fleisch stammte.
Dann kamen sie an der großen Metallkuppel vorbei. Links und rechts von der Blechtür befanden sich zwei lange Holzstangen mit aufgespießten Schrumpfköpfen. Sihana unterdrückte einen Schrei, als sie die Köpfe sah. Hätte Aliyah sie nicht im letzten Moment zurückgehalten, wäre sie einfach davongerannt.
«Hast du das gesehen?», flüsterte sie.
«Ja», antwortete Aliyah und gab sich Mühe, selbst nicht in Panik zu geraten, «denk einfach nicht darüber nach. Wir müssen Ephrion retten!»
«Aber das waren menschliche Köpfe!», wimmerte Sihana. «Die werden uns töten, auffressen und unsere Köpfe einschrumpfen. Bei Shaíria, wir sind verloren!»
«Die kriegen uns nicht», versuchte Aliyah sie zu beruhigen. «Komm jetzt. Wir sind gleich da.»
Tatsächlich gelang es ihnen, unbemerkt bis zu Ephrion vorzudringen. Der arme Junge war verschnürt wie ein Schinken und konnte sich nicht von der Stelle rühren.
«Ephi», flüsterte Joash und nahm sein Messer vom Gürtel.
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