Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
zurückfallen. Er ließ den Arm seines Sohnes los und atmete tief durch. Seine Hände zitterten leicht.
«Ihr solltet Euch jetzt etwas ausruhen, Vater», sagte der Prinz. «Das viele Reden strengt Euch zu sehr an. Ich lasse Euch alleine. Versucht zu schlafen. Morgen werdet Ihr Euch besser fühlen.» Wieder schickte er sich an zu gehen, und wieder streckte der König seine Hand aus.
«So lange habe ich nicht mehr Zeit, mein Sohn! Komm her!» Der Prinz beugte sich zu ihm. «Es gibt noch etwas, das du wissen musst, bevor ich … es geht um deinen Onkel … meinen Bruder … es geht um …» Er zögerte, und dann sprach er ihn aus. Ja er sprach den Namen aus, den er selbst vor dreißig Jahren aus Dark City verbannt hatte. Den Namen, den auszusprechen er unter Todesstrafe verboten hatte, den Namen seines eigenen Bruders.
«Arlo …»
Drakar der Zweite sah seinen Vater mit großen Augen an. Arlo. Er hörte den Namen zum ersten Mal, und es fröstelte ihn dabei.
«Das Geheimnis, das ich dir jetzt verrate, mein Sohn, darf diese Wände niemals verlassen. Niemals, hörst du?»
«Ja, Vater.»
«Du kennst die Geschichte, dass er am Tag seiner Hinrichtung auf mysteriöse Weise aus dem Kerker verschwunden sei.»
Der Prinz nickte. «Ja, Vater. Ich kenne die Geschichte.»
«Sie ist nicht wahr.»
«Sie ist nicht wahr?»
Der König schüttelte den Kopf. Sein Atem ging schwer. «Sie ist nicht mehr als ein Gerücht, das im Verlauf der Jahre zur inoffiziellen Version der Geschichte wurde. Aber sie enthält keinen Funken Wahrheit. An jenem Tag, als der brennende Fels ins Meer stürzte, haben wir deinen Onkel tatsächlich hingerichtet. Mangol steckte den Scheiterhaufen in Brand. Ich stand daneben. Das Volk brüllte und schrie. Die Flammen tanzten um seinen Körper. Und dann …»
Drakar der Erste starrte an die Decke. In seinen Augen spiegelte sich Entsetzen und Grauen. Er schien die Szene wieder genau vor sich zu sehen.
«Dann was, Vater?»
Der König schluckte. Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Seine Augen waren plötzlich weit aufgerissen, so als würde er ein Gespenst sehen. Sein Atem ging hastig, und Drakar entdeckte etwas in den Augen seines Vaters, das er noch nie zuvor gesehen hatte: Furcht.
«Vater? Was ist geschehen?»
«Er ist … verschwunden …», hauchte Drakar der Erste.
«Verschwunden?», wiederholte Drakar der Zweite ungläubig. «Wie meint Ihr das?»
«Es passierte, als der brennende Fels vom Himmel fiel», fuhr der König fort, ohne seinen Sohn dabei anzusehen. «Ich blickte zum Scheiterhaufen und … da war er weg! Er war einfach nicht mehr da.»
«Das habt Ihr Euch bestimmt nur eingebildet, Vater», meinte der Prinz skeptisch.
Doch der König packte ihn rasch am Hemd und zog ihn ruckartig zu sich herunter. In seinen kleinen schwarzen Augen flammte eine Gewissheit, die etwas Unheimliches an sich hatte. «Ich weiß, was ich gesehen habe, Drakar», flüsterte er. «Und ich sage dir: Der Pfahl war leer!»
Sein Blick durchbohrte den Prinzen, dass diesem ganz mulmig zumute wurde. Der König ließ ihn wieder los. Er atmete schwer. Das viele Reden überforderte seine Kräfte, doch Drakar der Zweite unterließ es, ihn noch einmal zu fragen, ob er sich nicht lieber ausruhen wollte.
«Hat dies außer Euch sonst noch jemand gesehen?»
«Ein paar Soldaten und Mangol», erklärte ihm sein Vater mit schwacher Stimme. «Doch ich habe sie zum Schweigen verpflichtet. Sie haben dreißig Jahre lang geschwiegen und werden es auch weiterhin tun. Alle andern waren zu sehr damit beschäftigt, sich vor dem Feuerregen in Sicherheit zu bringen. Selbst wenn sie etwas gesehen hätten, es herrschte absolutes Chaos. Das Volk dachte, der Himmel stürze über ihnen ein.»
Drakar wusste nicht, was er von der Geschichte halten sollte. Sie war ungeheuerlich. Sie war aber nicht nur ungeheuerlich – sondern auch beängstigend.
«Glaubt Ihr … glaubt Ihr, er ist noch am Leben?»
«Ich weiß es!», antwortete ihm der König energisch. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. Seine Stimme klang nur noch wie ein aufgeregtes Flüstern, und dennoch kam es Drakar vor, als würde sein Vater sämtliche Lebenskraft, die noch in ihm steckte, in die Worte hineinlegen, die er ihm jetzt sagte.
«Du musst dich in Acht nehmen, mein Sohn! Er wird zurückkehren. Er wird versuchen, dir das Königreich zu entreißen. Er darf nicht wieder an die Macht kommen. Die Prophezeiung darf sich nicht erfüllen! Sie darf sich nicht
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