Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
Menschen. Die Bilder wechselten sich immer schneller ab, die Geräusche wurden immer lauter. Immer bedrohlicher. Feuer. Flammen. Rauch. Grelle Farben. Gellende Schreie. Alles begann sich zu drehen. Schneller und immer schneller. Und dann plötzlich, für den Bruchteil einer Sekunde, flammte ein Schwert in ihrem Traum auf und eine düstere Hand, die danach griff. Und mit einem Schlag war Aliyah hellwach.
Schweißgebadet richtete sie sich auf und schaute in die Glut des fast niedergebrannten Feuers hinein. Die Gefährten lagen, in ihre Umhänge gehüllt, darum herum und schliefen friedlich. Aliyahs Herz hämmerte gegen ihre Brust. Das, was sie soeben gesehen und am eigenen Körper gespürt hatte, schnürte ihr die Kehle zu. Sie wusste, sie hatte es nicht einfach geträumt oder sich eingebildet, sondern es war wirklich geschehen, und es würde vielleicht wieder geschehen, wenn sie Arlo nicht rechtzeitig finden würden. So viele Propheten waren in den vergangenen dreiunddreißig Jahren hingerichtet worden. Es war Zeit, dass dieser Alptraum endlich ein Ende hatte. Es war Zeit, dass der wahre König Shaírias endlich zurückkehrte.
Es knackte. Aliyah sah auf und entdeckte zwei dunkle Gestalten, die in die Höhle traten. Es waren Ephrion und Pishda.
«Was schleicht ihr euch denn mitten in der Nacht herum?», fragte Aliyah überrascht.
Die beiden blieben abrupt stehen, als sie merkten, dass außer ihnen noch jemand wach war.
«Wir mussten mal für kleine Jungs», sagte Pishda rasch. «Und was ist mit dir?»
«Ich hatte einen schlechten Traum», erklärte Aliyah. «Einen wirklich schlechten. Dabei bin ich eigentlich hundemüde.»
«Dann versuch zu schlafen», sagte Pishda. «Morgen sollten wir alle gut ausgeruht sein für den Aufstieg zum Pass.»
«Ich weiß», seufzte Aliyah. «Ich hoffe bloß, diese Bilder verfolgen mich nicht die ganze Nacht.»
«Was für Bilder?», fragte Ephrion. Er machte es sich umständlich auf dem Boden neben dem Feuer bequem und gähnte laut.
«Egal», sagte Aliyah und legte sich ebenfalls wieder hin. «Gute Nacht allerseits.»
«Gute Nacht», flüsterte Ephrion.
«Nacht», murmelte Pishda und wickelte sich in einen Zipfel von Sihanas Spinnenmantel. Bald darauf war ein lautes Schnarchen aus Pishdas und ein tiefes Schnaufen aus Ephrions Richtung zu hören. Nur Aliyah fand lange keinen Schlaf mehr. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, kamen die fürchterlichen Bilder der Hexenverbrennung wieder in ihr hoch, und die Schreie der Menschen hallten in ihrem Kopf wider. Es war eine der schauerlichsten Visionen, die Aliyah jemals gehabt hatte, und es dauerte eine ganze Weile, bis es ihr gelang, wieder normal durchzuatmen. Sie drehte sich auf die andere Seite, rollte sich unter ihrem Mantel zusammen, und irgendwann nickte sie endlich vor Erschöpfung ein und fiel in einen unruhigen Schlaf.
30
Zur selben Zeit in Dark City …
Ein fensterloser Raum. Im Kamin knisterte ein Feuer. An der Wand hingen mehrere Fackeln. In einer Ecke standen ein schwerer Schreibtisch und ein Drehsessel, vor dem Kamin zwei Polstersessel mit einem dazwischen eingekeilten Glastischchen. Über dem Kaminsims befand sich ein großes Ölgemälde. Es zeigte einen alten Mann mit einem langen Bart und langem, seidigem Haar, das aussah wie gesponnenes Mondlicht. Drakar der Zweite stand davor und konnte seinen Blick nicht von dem Porträt lösen. Es war das Bildnis seines Vaters.
Drei Jahre waren seit seinem mysteriösen Tod vergangen, doch dem zweiundzwanzigjährigen König kam es vor, als wäre es erst gestern geschehen. Er erinnerte sich noch genau an jenen Tag, als ein Diener ihn bat, in das Schlafgemach seines Vaters zu treten. Der merkwürdige Ausdruck in den Augen des Dienstboten ließ den Prinzen erahnen, dass der Zustand seines kranken Vaters sich rapide verschlechtert hatte, und als er ihn dann mit blassem Gesicht in seinem Himmelbett liegen sah, wusste er, dass es mit ihm zu Ende ging. Drakar der Erste, sein Vater, der König von Dark City, lag im Sterben …
«Tritt näher, mein Sohn», hörte Drakar die schwache Stimme des Königs, und seine knochige Hand winkte ihn zu sich.
«Vater! Ihr habt mich rufen lassen?», fragte der neunzehnjährige Prinz besorgt, als er den Raum betrat. Er war schlank und weder besonders groß noch besonders kräftig. Er hatte dieselben kleinen schwarzen Augen wie sein Vater und schulterlanges schwarzes Haar mit einer Silbersträhne, die ihm in die weiße Stirn fiel.
«Setz dich»,
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