Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
abwartete, ehe ich weiterzog, brauchte ich mehrere
Minuten bis zur hinteren Mauer des Anwesens. Fackeln tauchten die Rückseite des Hauses, an die nachträglich eine überdachte Terrasse angebaut worden war, in helles Licht. Doch wegen der verdammten schulterhohen Hecken ringsum, die ein kleines Labyrinth bildeten, konnte ich nicht erkennen, was dort vor sich ging.
Mein Blick fiel auf eine gewaltige alte Schwarzeiche, die die später gepflanzten Bäume weit überragte. Gewöhnlich wuchsen solche Schwarzeichen auf dem kargen Boden von Felsvorsprüngen über dem Meer, und eine solche Felszunge war auch der Brillion-Hügel gewesen, ehe sich dort Menschen angesiedelt hatten. Diese riesige Schwarzeiche war so betagt, dass man sie bei der Rodung des Geländes offenbar verschont hatte. Nie zuvor hatte ich einen so dicken Baumstamm gesehen. Also los!
Während ich mich am Stamm hocharbeitete, zuckte ich bei jedem Knacken seiner Borke und jedem Ächzen der Äste zusammen, schaffte es aber schließlich so weit hinauf, dass ich einen freien Blick auf den hinteren Teil des Herrenhauses hatte.
An einer Stelle war der Wallgraben zu einer Art Schwimmbecken erweitert worden, das eine einsame Gestalt gerade mit unbeholfenen, unsicheren Schwimmzügen durchquerte. Sie war nicht größer als ein Kleinkind, wirkte wegen der sonnengebräunten Haut und des hageren Körpers aber wesentlich älter. Es war eindeutig ein Mann, der sich dort mit verzweifelter Anstrengung über Wasser hielt und Bahnen schwamm. Aus dieser Entfernung konnte ich sein Gesicht allerdings nicht erkennen.
Plötzlich ging eine Tür auf, und mein alter Freund Canino trat aus dem dunklen Haus. Er war barfuß und
trug helle Hosen sowie ein loses rosafarbenes Hemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren. Mit den Händen umfasste er einen großen Bierhumpen. Über das Planschen des Schwimmers hinweg war seine Stimme deutlich zu hören. »Die Buchhaltung für diesen Monat liegt auf deinem Schreibtisch«, rief er. »Kandinsky war mit seinen Abrechnungen wieder mal nicht fertig. Ich werde ihm einen Besuch abstatten.«
Der Schwimmer versuchte sich mit Wassertreten an der Oberfläche zu halten, doch sein Kopf tauchte immer wieder unter. »Seine Tochter ist jetzt etwa fünfzehn, oder?«, erwiderte er. »Setz ihre Jungfräulichkeit als Druckmittel ein – falls sie ihre Unschuld noch nicht verloren hat. Ich kann ihm diese Schlampigkeit nicht durchgehen lassen.«
Canino trank einen Schluck. »Vielleicht ist es gar keine Schlampigkeit, sondern Absicht? Woher willst du das wissen?«
Der Schwimmer paddelte bis zum Beckenrand, Canino unmittelbar vor die Füße. »Das weiß ich, weil er der Jüngste in einer langen Ahnenreihe von Deppen namens Kandinsky ist.«
»Und wieso hast du dich dann noch nicht von ihm getrennt ?«
»Weil ich ihn kenne und er keine Möglichkeit hat, mir übel mitzuspielen. Sein Großvater hat ein einziges Mal versucht, mich übers Ohr zu hauen, was ihm gar nicht gut bekommen ist. Hab dafür gesorgt, dass er keine weiteren Kinder mehr zeugen konnte. Und sein Sohn, der Vater des jüngsten Kandinsky, hat zehn Jahre im Gefängnis abgesessen, weil er eine Wahl manipulieren ließ, damit mein Favorit verlor. Den Jüngsten kenne ich schon seit seinen
Kindertagen, deshalb weiß ich, dass er viel zu viel Angst vor mir hat, um mich zu betrügen. Leider macht ihn diese Angst aber keineswegs schlauer. Hilf mir aus dem Wasser, ja?«
Canino stellte den Bierhumpen auf einem Tisch ab, griff nach der ausgestreckten Hand des Schwimmers und zog ihn aus dem Becken. Der Anblick löste bei mir nicht nur Aufregung, sondern auch Entsetzen aus, denn der nackte Mann war allenfalls drei Fuß groß. Kopf und Oberkörper wirkten normal – und viel mehr hatte der Körper auch nicht zu bieten: Bis auf den mit kurzem schwarzen Haar bedeckten Schädel und einen muskulösen, gebräunten Rumpf fehlten fast alle Gliedmaßen. Die Hände ragten direkt aus den Schultern, wobei die Rechte nach oben und die Linke in die Waagerechte wies. Die Füße baumelten von den Hüften herunter, der linke Fuß etwas weiter als der rechte. Allerdings wirkten seine Geschlechtsteile aus der Ferne normal.
Nachdem Canino den Zwerg auf dem Terrassenboden abgesetzt hatte, bewegte er sich zwar ruckartig, aber nicht ungeschmeidig zum Tisch hinüber, um sich ein Handtuch zu holen. Irgendwie schaffte er es, sich das rote Ding um die Taille zu gürten, dennoch schleifte es auf dem Boden. »Ich geh mich jetzt anziehen«,
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