Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
dem Bett zurück. Falls ich Gelegenheit hatte, sie abzuholen, würde ich nicht lange bleiben müssen. Und falls nicht, würde die Haushälterin nicht viel Mühe haben, mein Zimmer zu räumen. Ich trug dunkle Kleidung, die von Weitem hoffentlich wie ein förmlicher Abendanzug wirken würde. Zugleich konnte ich mich damit, falls nötig, in der Dunkelheit verbergen.
Ohne dass mich jemand bemerkte, schlich ich mich durch die überfüllte verrauchte Schenke nach draußen und ging zu den Stallungen hinüber. Die Stalljungen hatten die Pferde der Gäste bereits gefüttert, gestriegelt und für die Nacht fertig gemacht. Jetzt hatten sie Feierabend und konnten ihren persönlichen Pflichten oder Vergnügungen nachgehen.
Meine gestohlene Stute stand geduldig in ihrem Stall.
Im trüben Licht einiger Petroleumlampen wirkte ihr Fell schokoladenbraun. Als ich aufsattelte, warf sie leicht den Kopf herum, ließ es sich aber gefallen, dass ich den Gurt festzurrte. Sie erhob nicht einmal Einwände, als ich ihr das Zaumzeug über den Kopf streifte.
Ich sah ihr in die Augen. Zum ersten Mal, seit ich mit Pferden zu tun hatte, überfiel mich nicht das unheimliche Gefühl, dass aus diesen großen Augen eine fremdartige und irgendwie böswillige Intelligenz sprach. »Eigentlich bist du ein recht braves Mädchen, stimmt’s?«, sagte ich, während ich ihr über den Kopf strich. »Hoffe, es gefällt dir bei mir. Ich glaube nämlich nicht, dass du jemals zurück zu diesen Grenzbanditen in Pema findest. Und da wir so gut aufeinander eingespielt sind, sollte ich dir wohl einen Namen geben, meinst du nicht?«
Sie warf den Kopf sanft herum, als wollte sie Einverständnis bekunden.
»Noch nie hab ich einem Pferd einen Namen gegeben. Warte mal … Am besten, er drückt eine deiner Eigenschaften aus. Du bist geduldig, du bist klug, und du bist loyal … Hm, wie wär’s mit ›Loyola‹?«
Das Pferd sah mich an, als wäre ich ein Schwachkopf.
»Hast ja recht. Wir wär’s mit der Abkürzung ›Lola‹?«
Ich kann schwören, dass die Stute den Kopf schräg legte, als müsste sie über den Vorschlag nachdenken. Schließlich wieherte sie, machte einen Schritt vorwärts und rieb ihren Kopf an meiner Wange.
»Also gut, dann heißt du von jetzt an Lola.« Ich schwang mich auf ihren Rücken. »Hoffe nur, dass ich den morgigen Tag noch erlebe, damit ich dich den Menschen namentlich vorstellen kann.«
Ich hatte mir Bernis Wandkarte von Kap Querna gründlich angesehen und mir den Weg zum Brillion-Hügel gemerkt. Während ich durch die dunklen Straßen ritt, machte ich ein paarmal halt, um sicherzugehen, dass mich weder Berni noch einer von Caninos Verbindungsleuten beschattete. Als ich mich den Herrenhäusern näherte, waren kaum noch Fußgänger unterwegs. Auf dem Hügel kam ich dann nur noch an geschlossenen Kutschen vorbei, die vermutlich die Sprösslinge reicher Familien zu stinkvornehmen Abendgesellschaften beförderten. Hinter einigen der dicken Mauern, die die Häuser hier abschirmten, waren Musik und Lärm zu hören, hinter anderen war alles totenstill. Weiß der Himmel, was die Bewohner dort trieben.
Die alten burgähnlichen Gebäude und die neueren Villen versetzten mich in die Welt meiner Kindheit zurück. Ich war eines dieser verwöhnten reichen Kinder gewesen, die von einem Fest zum nächsten lebten. Ich konnte tanzen, bei einem noblen Abendessen korrekt mit Messer und Gabel umgehen, kannte mich mit Weinen aus und war ein recht passabler Klavierspieler. Der Komplize bei allen Streichen und Vergnügungen war mein äußerst lässiger Kumpel Kronprinz Phil gewesen, meine Freundin eine Zeit lang die reizende Prinzessin Janette. Doch jetzt kam mir all das so unwirklich vor wie eine Geschichte, die ich irgendwann mal gelesen hatte.
Ich ging an mehreren alten Toren vorbei, bis ich schließlich dasjenige mit der Hausnummer erreichte, die Tanko für mich notiert hatte. Durch die Eisenstäbe hindurch sah ich hinter den hohen Bäumen ein dreistöckiges Gebäude, das jünger als die anderen, doch nicht wirklich neu war.
Überall wuchsen blühende Büsche, und mir fiel dabei Sporns Bemerkung ein, dass Canino von den Besuchen bei seinem Auftraggeber stets frische Blumen mitbrachte. Nur in einem einzigen Fenster brannte Licht, also feierte der Zwerg heute Abend bestimmt kein rauschendes Fest. Das Tor und dessen Schlösser sahen solide genug aus, um jeden Eindringling abzuhalten, allerdings war das Pförtnerhäuschen daneben nicht besetzt. Plötzlich
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