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Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert des Königs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Bledsoe
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Bedienung, deren Namensschild sie als Trudi auswies. »Soll ich noch ein Bier bringen?«
    »Nein danke«, erwiderte ich. »Weißt du, ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen. Der Ort hat sich wirklich gemacht.«
    »Oh ja. Es geht sogar das Gerücht, dass wegen der vielen Durchreisenden eine weitere Brücke gebaut werden soll. Falls das stimmt, wird dieser Ort bald aus allen Nähten platzen.« Sie klang geradezu begeistert – nun ja, sie war ja auch noch jung und unerfahren. Bestimmt hätte sie sich in dem Poy Sippi, das ich noch gekannt hatte, zu Tode gelangweilt.
    »Wohnst du schon lange hier?«
    »Mein Leben lang«, erwiderte sie nur, plötzlich zurückhaltender
als zuvor. Wahrscheinlich dachte sie, ich würde ihr gleich Avancen machen.
    »Hast du hier mal eine Frau namens Epona Grau kennengelernt? Sagt dir der Name was?« Um ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, bezahlte ich nicht nur die Rechnung, sondern gab ihr auch ein beträchtliches Trinkgeld.
    Das Tablett auf die Hüfte gestützt, dachte Trudi einen Augenblick nach. »Nein, ich glaube nicht. Aber als es hier im Ort so voll wurde, haben viele frühere Einwohner Poy Sippi verlassen. Vielleicht hat sie das auch getan.«
    »Und sagt dir der Name Andras Reese irgendwas?«
    »Nein, den kenn ich auch nicht …« Plötzlich stutzte sie. »Meinst du den aus dem Kinderlied? Den, von dem es heißt: Denn er war wirklich böse, der alte Andras Reese?«
    Als sie den Reim so beiläufig zitierte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich hatte ihn nur ein einziges Mal in meinem Leben gehört: von Epona Grau.
    Sie lächelte. »Jeder hier kennt den Reim. Wir haben ihn alle als kleine Kinder in der Schule gelernt.« Während sie die Augen schloss, sang sie leise:
    »Er hatte keine Manieren,
da half nur Schikanieren.
Er war so furchtbar grob,
was sie sehr schnell behob.
Er war oft sehr gemein,
da bracht’ sie ihn zum Schrei’n.
Sie machte ihn kaputt,
den starken Tunichtgut.
Denn er war wirklich böse,
der alte Andras Reese.«
    Sie lachte auf. »Oh je, das hat sich wohl wirklich in meinem Schädel festgesetzt, wenn ich mich nach so langer Zeit noch an jedes Wort erinnern kann.«
    Das letzte Reimpaar – Epona hatte es in ihrer Trunkenheit vor sich hingesummt – hallte aufreizend in meinem Kopf wider. »Ja, das muss es wohl«, erwiderte ich. »Also gibt es gar keinen wirklichen Menschen, der so heißt?«
    »Na ja, sicher gibt’s den irgendwo. Aber nicht in Poy Sippi. Niemand wäre so grausam, seinen Sohn so zu nennen. Der würde in der Schule ja nur Prügel beziehen!«
    Als sie sich anderen Gästen zuwandte, trat ich mich im Geiste selbst in den Hintern, während ich mein Bier trank. Stets hatte ich ohne besonderen Grund angenommen, Andras Reese sei ein wirklich existierender Mann. Ich weiß nicht, wieso ich in Anbetracht aller anderen Verrücktheiten, die Epona von sich gegeben hatte, ausgerechnet das als unstrittige Tatsache betrachtete. Hatte Epona in ihrer Trunkenheit einfach ein beliebiges Kinderlied gesungen?
    Nein, ich war mir sicher, dass sie darüber hinaus gesagt hatte, Andras Reese habe ihr das Päckchen geschickt, das Kathi ihr zugestellt hatte. Unabhängig davon, ob sie den Namen Andras Reese nur metaphorisch für einen bösen Menschen gebraucht oder damit eine reale Person gemeint hatte: Es war immerhin ein Hinweis. Und falls meine Reise in die Berge nichts Neues zutage förderte, würde ich nach dem Ursprung dieses Kinderlieds forschen. Das war auch nicht viel weiter hergeholt als das, was ich jetzt trieb.
    Als ich das Gasthaus verließ und auf die Straße trat, rief eine leise Stimme: »He, du da.«
    Ich drehte mich um: In der Gasse zwischen der Pferdestation, wo ich meine Stute gelassen hatte, und einer schäbigen Schwertschmiede stand ein winziges Mädchen, kaum älter als vier Jahre. Das Haar der Kleinen war verfilzt, ihr Gesicht schmutzig, und die Oberkleider konnte man eigentlich nur als Lumpen bezeichnen. Solche Kinder sah man in jeder Stadt, vor allem aber in solchen, die wie Poy Sippi an Handelsstraßen lagen. Es waren Waisen, junge Diebe oder auch beides. Als ich seinerzeit mit Kathi hier durchgekommen war, hatten die Straßenbanden ausschließlich aus Erwachsenen bestanden. Doch da die Polizei mittlerweile ein Auge auf sie hielt, hatten diese Arbeit jetzt zwangsläufig Kinder übernommen.
    Die Kleine sah zwar eher nach einem Opfer als nach einer Gaunerin aus, aber nicht sie hatte mich angesprochen, sondern ein Kind, das

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