Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
konnte aber nicht an das Messer in meinem Stiefel herankommen oder wenigstens prüfen, ob es noch da war. »Ich hab Epona Grau mal gekannt«, erklärte ich, »und mich deshalb gefragt, ob sich in dieser Gegend noch jemand an sie erinnern kann.«
»Alle, die sie kannten, sind mittlerweile tot – alle außer mir!«
»Nein, nicht alle .«
»Du hast sie also kennengelernt, wie?«, fragte sie spöttisch. »Und wann war das?«
»Unmittelbar vor ihrem Tod.«
Erneut beugte sie sich so vor, dass Licht auf ihr krauses Haar fiel. »Und das soll ich dir glauben?«
»He, Verehrteste, ich versuche doch gar nicht, dich von irgendetwas zu überzeugen. Glaub’s oder lass es bleiben, aber ich hab Epona Grau erst in jener Nacht kennengelernt, in der sie gestorben ist, und auch nur kurz mit ihr
gesprochen. Aber da ich sowieso in der Gegend war, hab ich das Schankmädchen ganz harmlos nach ihr gefragt. Keine Ahnung, was die ganze Aufregung soll!«
»Was mit Epona zu tun hat, ist niemals ›harmlos‹.« Sie lehnte sich wieder zurück. »Erzähl mir, wie sie gestorben ist.«
Ich sah keinen Grund, es für mich zu behalten. »Sie wurde vergiftet.«
Die Frau schwieg eine Weile, was ich zu einer Gegenfrage nutzte: »Und was zum Teufel weißt du darüber? Ich war allein mit ihr, bevor ich sie verließ.«
»Nein, nicht ganz allein.« Ironisch ahmte sie meine frühere Erwiderung nach, langte dabei zur Lampe hinüber und drehte den Docht höher.
Ich konnte ihr Alter nicht einschätzen, denn ihr Gesicht bestand nur aus Narbengewebe und das struppige Haar aus schlohweißen Büscheln.
»Ich bin aus einem brennenden Haus gekrochen«, sagte sie, »und stand selbst in Flammen. Hab’s dann aber bis zu einem Bach geschafft, wo ich die Flammen löschen konnte. Weißt du eigentlich, dass man bei schlimmen Verbrennungen den Schmerz gar nicht mehr spürt?«
»Ja, ist mir bekannt.« Ich sah die Flammen vor mir. Und auch das blutbesudelte Scheusal, das im Feuer umherstreifte.
»Meine Eltern sind damals ums Leben gekommen, genau wie meine Freunde. Alle wegen Epona. Es war der Tag, an dem man mich in ihre Geheimnisse einweihte.«
Mir wurde eiskalt. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich meine Stimme wiederfand. »Du bist erst achtzehn Jahre alt, stimmt’s?«
Sie schlug die Beine übereinander und ließ dabei den Wickelrock absichtlich auseinanderfallen. Ihre Beine waren zwar leicht behaart, aber wirkten jugendlich und wohlgeformt. »Wie hast du das erraten?«, fragte sie in sarkastischem Ton.
»Weil ich dich an jenem Tag gesehen habe. Ich sah, wie du das Einführungsritual erfolgreich durchgestanden hast.«
»Unsinn«, schnappte sie.
Ich richtete mich so weit auf, wie es meine verdrehte Lage zuließ. »Eigentlich hätten die Pferde dich umbringen müssen, aber das haben sie nicht getan. Dein Gewand war zu fest. Du hast an jenem Tag Schleifen getragen.«
Eine ganze Weile herrschte gedankenschwere Stille zwischen uns. »Wer bist du?«, fragte sie schließlich mit kaum hörbarer Stimme.
»Ich heiße Eddie LaCrosse und komme aus Neceda, das liegt in Muscodia.«
»Wo genau?«
Ich sagte es ihr.
»Und du …«, zitternd holte sie tief Luft, »und du weißt noch, was geschehen ist?«
Ich nickte. »Und ich will dir auch die Wahrheit verraten: Noch in derselben Nacht habe ich das Scheusal getötet, das all das angezettelt hat.«
Inzwischen brachte mich die mir aufgezwungene Körperhaltung schier um. Als sie aufstand und die Fesseln durchtrennte, die meine Handgelenke an die Fersen banden, stöhnte ich laut auf. Während sie auch die anderen Stricke löste, setzte ich mich mit steifen Gliedern auf.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Ich versuchte meine tauben Finger und Zehen zu bewegen. »Schon gut«, erwiderte ich aus alter Gewohnheit. Vorsichtig tastete ich meinen Hinterkopf ab. Hinter dem rechten Ohr entdeckte ich eine druckempfindliche Schwellung, die sich heiß anfühlte, aber kein getrocknetes Blut. Wenigstens hatte der kleine Depp nicht allzu fest zugeschlagen. »Wer war das eigentlich, der mir eins übergezogen hat?«
»Er heißt Leo. Hält sich immer im Hintergrund, um zu sehen, wie der Überfall läuft. Ist zwar erst sieben, aber groß für sein Alter, und er kennt keine Angst.«
»Na, dann hat er ja noch eine große Zukunft vor sich.« Ich hatte ihn nicht mal kommen hören. Mir wurde leicht übel, doch ich achtete gar nicht darauf und rieb mir mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »Welche Art von Gaunereien betreibst du hier
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