Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
dabei, wie König Felix als Vater sein mochte. War er so streng, dass seine Tochter es nicht mehr bei ihm ausgehalten hatte? Oder so pervers, dass sie vor seinen Umarmungen geflohen war? Sein arrogantes schweineähnliches Gesicht gab mir keine Antwort auf meine Fragen. Doch plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Konnte es sein, dass ich die ganze Geschichte aus einem verzerrten Blickwinkel sah?
Erneut holte ich das Porträt der Prinzessin aus der Jackentasche und hielt es neben die Münze. War ich zufällig auf etwas Wesentliches in dieser Vater-Tochter-Beziehung gestoßen? Was, wenn sie überhaupt nicht weggelaufen war?
Es war schon dunkel, als wir in Pema ankamen. Hai legte an dem von Fackeln erleuchteten Kai nur so lange an, dass ich von Bord gehen konnte. Danach brachte er sofort die Pferde an Land, die den Kahn nach Neceda zurückschleppen sollten. Es brauchte drei heftige Fußtritte, um Kenni wach zu bekommen, der sich daraufhin noch halb schlafend an die Arbeit machte. Hai hatte an mir so viel verdient, dass er trotz der Rückfahrt, die ihm nichts einbringen würde, einen netten Gewinn einstreichen konnte. Deshalb hatte ich kein allzu schlechtes Gewissen dabei, ihm die mühselige Rückkehr nach Neceda im Dunkeln zuzumuten.
Im Gegensatz zu Neceda war Pema eine quicklebendige kleine Stadt. Wegen ihres massiven Deichs hatte sie fast keine Flutschäden davongetragen. Da Pema zwischen Muscodia und Balaton lag und die typische Atmosphäre einer Grenzstadt hatte, zog sie Menschen an wie Hunde die Flöhe. Wer seine Waren flussabwärts oder flussaufwärts verschiffen wollte, musste hier haltmachen, um die behördlichen Genehmigungen dafür einzuholen. Und wer legal über die Grenze wollte, musste auf beiden Seiten Kontrollen über sich ergehen lassen. Die Stadt selbst strahlte Weltoffenheit aus, und sobald man die Zollkontrollen hinter sich hatte, konnte man hier alles und jedes käuflich erwerben.
Balaton beherzigte die alte Weisheit, dass gute Zäune für gute Nachbarschaft sorgen. Falls man dort ohne gültige Einreisedokumente angetroffen wurde, konnte es geschehen, dass man an Ort und Stelle hingerichtet wurde. Ich war zwar bereit, für das nette Sümmchen von König Felix einiges zu riskieren, nicht aber meinen Kopf. Also musste ich legal in Balaton einreisen.
Leider war so spät abends nur noch eines der zehn Zolltore geöffnet, sodass sich dort eine lange Schlange von Reisenden gebildet hatte, die alle auf Passagierschiffen angekommen waren. Bei diesen Flachbooten hatte sich die Fahrt wegen der Überschwemmungen so verzögert, dass sie nicht wie üblich nacheinander, sondern alle zur gleichen Zeit am Kai angelegt hatten. Die Schlange reichte von einer Anhöhe bis zu den Hafenanlagen, und ich stieß unmittelbar vor einer ganzen Schiffsladung fetschinischer Brunnengräber dazu. Zwei stämmige, mit Narben übersäte Aufseher trieben die aus der Fremde »eingeführten« Arbeitskräfte vor sich her, damit sie sich in die Schlange einreihten, und sparten nicht mit Schwertstößen, sobald einer der Brunnengräber aufmuckte.
Ich stand hinter einer Familie aus Ocento, die das Reisen gewöhnt zu sein schien. Die drei hatten vier große Beutel dabei, außerdem eine Holzkiste, die an einer Tragestange befestigt war.
»Bowi, hörst du jetzt endlich auf damit?!«, schimpfte die Frau aus Ocento, während sie nach ihren Reisedokumenten suchte. Der Knirps wand sich wie ein kleiner Fisch an einem Angelhaken und heulte so laut, dass man ihn vermutlich noch in Neceda hören konnte. Sie drehte sich zu uns Übrigen um und zuckte hilflos mit den Achseln. »Tut mir leid, aber er hat gerade das Reinigungsritual hinter sich, und das hat ihm schrecklich zugesetzt.«
Da zum »Reinigungsritual« in Ocento auch die Verstümmelung der männlichen Geschlechtsteile gehörte, wunderte mich das keineswegs. Mir fiel auf, dass der Vater genauso traurig und gequält wirkte wie andere Männer aus Ocento, denen ich früher begegnet war. Er machte
keine Anstalten, seiner Frau zu helfen. In dieser Familie hielt offenbar sie das Zepter in der Hand.
Sobald ihre Passierscheine abgestempelt waren, setzten sich Vater, Mutter und Kind so gezielt in Bewegung, als handelte es sich um ein Heeresmanöver. Der Ehemann griff sich drei der Beutel und das eine Ende der Tragestange, seine Frau das andere Ende und den vierten Beutel. Derweil krabbelte Bowi wie ein dressiertes Äffchen auf die Schultern seiner Mutter und begann sie, fröhlich kichernd, an den
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