Das Schwert des Liktors
für ein Signal ich geben könnte, wenn ich in diesem schwarzen Turm läge. »Es wird irgendwo ein Feuer brennen in einer Nacht wie dieser. Ich zeige eine Fackel an einem Fenster und lasse sie fallen, wenn ich kann, so daß ihr den Feuerschweif seht. Wenn ich kein Signal geben und nicht zu euch zurück kann, müßt ihr annehmen, ich sei gefangengenommen worden – greift an, wenn das erste Tageslicht auf die Berge fällt.«
Kurze Zeit später stand ich am Tor der Burg und pochte mit dem schweren, eisernen Türklopfer in der Form eines Menschenschädels (soweit das in der Dunkelheit mit den Fingern zu erkennen war) gegen die gleichfalls eiserne Platte, die in die Eichenfüllung eingelassen war.
Es blieb alles still. Nachdem ich zwei Dutzend Atemzüge lang gewartet hatte, pochte ich abermals. Drinnen pflanzte sich das Echo fort als hohler Widerhall wie von einem klopfenden Herzen, aber Stimme hörte ich keine. Die gräßlichen Fratzen, die ich im Garten des Autarchen erspäht hatte, kamen mir in den Sinn, und in großer Angst wartete ich darauf, daß ein Schuß die Nacht zerrisse, obgleich ich wußte, wenn die Hierodulen – von denen letztendlich alle Energiewaffen stammten – mich erschießen wollten, würde ich das erst gar nicht hören. Die Luft war so still, daß ich glaubte, die ganze Atmosphäre wartete mit mir. Donner grollte im Osten.
Schließlich vernahm ich Schritte, flinke, leichte Schritte, die fast wie von einem Kind klangen. Eine irgendwie bekannte Stimme rief: »Wer da? Was gibt’s?«
Und ich antwortete: »Meister Severian vom Orden der Wahrheitssucher und Büßer – ich komme als Arm des Autarchen, dessen Gerechtigkeit das Brot seiner Untertanen ist.«
»Ei, tatsächlich!« entfuhr es Dr. Talos, der das Tor aufwarf.
Ich war sprachlos.
»Sag, was will der Autarch von uns? Als ich dich das letzte Mal sah, warst du auf dem Weg in die Stadt der Krummen Messer. Bist du denn gut angekommen?«
»Der Autarch möchte wissen, warum deine Vasallen Hand an einen seiner Diener legten«, sagte ich. »Soll heißen, an meine Person. Das rückt die ganze Sache in etwas anderes Licht.«
»Fürwahr! Fürwahr! Auch von unserem Standpunkt, verstehst du. Ich wußte nicht, daß du der geheimnisvolle Besucher in Murene warst. Und ich wette, der arme alte Baldanders wußt’s auch nicht. Komm herein, und wir sprechen darüber!«
Ich trat durch die Toröffnung, und der Doktor stieß das schwere Tor hinter mir zu und verschloß es mit einem Eisenriegel.
»Da gibt es nicht viel zu besprechen, aber wir könnten gleich mit einem kostbaren Juwel beginnen, das mir gewaltsam genommen und, so hab’ ich mir sagen lassen, euch geschickt worden ist.«
Noch während ich sprach, wurde meine Aufmerksamkeit jedoch abgelenkt von den Worten, die ich äußerte, und angezogen vom gewaltigen Schiff der Hierodulen, das nun, da ich hinter der Mauer stand, direkt über mir schwebte. Als ich zu ihm hinaufblickte, befiel mich der gleiche Taumel, der mich zuweilen erfaßt hatte, wenn ich durch ein Vergrößerungsglas sah; die konvexe Unterseite dieses Schiffes wirkte höchst fremdartig – fremdartig nicht nur für die menschliche, sondern die ganze sichtbare Welt.
»O ja«, meinte Dr. Talos. »Baldanders hat dein Steinchen, wenn ich nicht irre. Beziehungsweise hat’s gehabt und irgendwo weggesteckt. Ich bin sicher, er gibt’s dir wieder.«
Vom Innern des Rundturms, der allem Anschein nach (obgleich er das nie ausgehalten hätte) das Schiff trug, drang schwach ein einzelner, grausiger Laut hervor, der an Wolfsgeheul erinnerte. So etwas hatte ich seit meinem Aufbruch von unserm Matachin-Turm nicht mehr gehört; aber ich wußte, worum es sich handelte, und sagte zu Dr. Talos: »Ihr habt Gefangene hier.«
Er nickte. »Ja. Leider bin ich heute noch gar nicht dazu gekommen, ihnen das Essen zu bringen.« Er deutete auf das Schiff über uns. »Ich hoffe, du hast nichts gegen eine Begegnung mit Cacogens, Severian? Wenn du Baldanders nach deinem Juwel fragen willst, bleibt dir, fürcht’ ich, gar keine Wahl. Er redet drinnen mit ihnen.«
Ich versicherte, ich hätte nichts dagegen, obgleich ich innerlich schauderte. Der Doktor lächelte und zeigte dabei über seinem roten Bart das spitze, strahlende Gebiß, an das ich mich so gut erinnerte. »Wie schön, du warst schon immer so schön unvoreingenommen. Wenn ich so sagen darf, hat dein Handwerk dich wohl gelehrt, jeden zu nehmen, wie er kommt.«
Ossipago, Barbatus und
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