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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Famulimus
     
    Wie in solchen Türmen üblich, gab es keinen ebenerdigen Eingang. Eine schmale, steile, geländerlose Treppe führte zu einer ebenso schmalen Tür, etwa zehn Ellen über dem Pflaster des Burghofs. Diese Tür stand schon offen, und ich war froh festzustellen, daß Dr. Talos sie hinter uns nicht schloß. Wir gingen durch eine kurze Diele, die offenbar lediglich die Laibung der dicken Turmmauer war, und gelangten in einen Raum, der (wie alle Räume, die ich in diesem Turm sah) die ganze verfügbare Fläche des Stockwerks in Anspruch zu nehmen schien. Gefüllt war er mit Maschinen, die mindestens so alt wie die Maschinen unseres Matachin-Turms daheim wirkten, deren Zweck mir aber völlig schleierhaft blieb. An einer Zimmerseite führte eine zweite schmale Treppe zum darüberliegenden Geschoß, und auf der anderen Seite bot ein dunkler Treppenschacht Zugang zu jenem Gewölbe, worin der heulende Gefangene saß, denn ich hörte die Stimme aus dem schwarzen Schlund dringen.
    »Er ist wahnsinnig geworden«, sagte ich und neigte den Kopf in die Richtung des Geschreis.
    Dr. Talos nickte. »Das sind die meisten. Zumindest die meisten von denen, die ich untersucht habe. Ich verabreiche ihnen Nieswurzabsud, aber ich kann nicht sagen, daß er viel hilft.«
    »Wir haben solche Klienten im dritten Geschoß unserer Oubliette, weil wir durch die Legislative gezwungen sind, sie in Gewahrsam zu halten; sie wurden uns übergeben, weißt du, und kein Befugter befugt uns, sie freizulassen.«
    Der Doktor geleitete mich zur Treppe nach oben. »Ich bedauere diese mißliche Lage für euch.«
    »Mit der Zeit sterben sie«, fuhr ich beharrlich fort. »Entweder an den Nachwirkungen der Folter oder aus anderen Gründen. Sie einzusperren hat eigentlich keinen Zweck.«
    »Wohl nicht. Paß auf diesen Apparat mit dem Haken auf, oder er wird dich am Mantel zu fassen kriegen!«
    »Warum haltet ihr ihn dann noch fest? Ihr seid ja keine öffentliche Verwahranstalt wie wir.«
    »Wegen der Teile wohl. Hauptsächlich deswegen braucht Baldanders diesen ganzen Plunder.« Als er schon einen Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, wandte sich Dr. Talos nach mir um. »Vergiß mir nicht, bestes Betragen zu zeigen. Sie mögen’s nicht, wenn man sie Cacogens nennt, weißt du. Nenn sie so, wie sie diesmal sagen, daß sie heißen! Und gebrauch mir keine Unflätigkeiten! Ja, sprich nichts Unangenehmes an! Der arme Baldanders hat sich solche Mühe gegeben, mit ihnen wieder ins reine zu kommen, nachdem er im Haus Absolut den Kopf verloren hat. Er ist am Ende, wenn du alles im letzten Moment verdirbst, bevor sie gehn.«
    Ich versprach, so gewandt wie möglich aufzutreten.
    Weil das Schiff über dem Turm verharrte, hatte ich vermutet, Baldanders und seine Besatzung hielten sich im obersten Zimmer auf. Das war ein Irrtum. Ich vernahm murmelnde Stimmen, als wir zum nächsten Stockwerk emporstiegen, und dann den Baß des Riesen, den ich auf unserer gemeinsamen Reise so oft gehört hatte und der klang, als stürzte in der Ferne ein baufälliges Gemäuer ein.
    Auch diese Kammer barg Maschinen. Sie wirkten allerdings betriebsbereit, wenngleich so alt wie die unteren, zumal zwischen ihnen ein unerforschlicher Zusammenhang bestand wie bei den Maschinen in Typhons Kuppelbau. Baldanders befand sich mit seinen Gästen im hinteren Teil der Kammer, wo sein Kopf, dreimal so groß wie der eines gewöhnlichen Mannes, über das Gewirr aus Metall und Kristall ragte wie der Schädel eines Tyrannosaurus über die Wipfel eines Waldes. Während ich mich ihnen näherte, bemerkte ich, was von einer jungen Frau übriggeblieben war, die Pias Schwester hätte sein können und unter einer glänzenden Glasglocke lag. Ihr Bauch war mit einem scharfen Messer eröffnet und gewisse Innereien entnommen und säuberlich neben ihren Leib gelegt worden. Dieser schien allmählich in Fäulnis überzugehen, dennoch bewegten sich ihre Lippen. Sie schlug die Augen auf, als ich an ihr vorüberschritt, und schloß sie dann wieder.
    »Besuch!« verkündete Dr. Talos. »Du wirst nie erraten, wer.«
    Der Kopf des Riesen drehte sich bedächtig nach mir um, aber er begriff offenbar so wenig wie an jenem ersten Morgen in Nessus, als Dr. Talos ihn geweckt hatte, obgleich sein Blick auf mir ruhte.
    »Baldanders kennst du«, wandte sich Dr. Talos wieder an mich, »aber unseren Gästen muß ich dich vorstellen.«
    Drei Männer, die zumindest den Anschein von Männern erweckten, erhoben sich artig. Der eine

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