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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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großes Bedürfnis nach Gesellschaft gehabt, es sei denn, es wäre die Gesellschaft von jemand, den ich einen Freund nennen könnte. Sicherlich habe ich selten das Gespräch mit Fremden oder den Anblick fremder Gesichter gesucht. Ich glaube eher, als ich allein gewesen bin, habe ich das Gefühl gehabt, irgendwie meine Individualität einzubüßen; für die Drossel und den Hasen bin ich nicht Severian, sondern ein Mensch schlechthin gewesen. Den vielen, die sich freiwillig in die Einsamkeit zurückziehen, insbesondere in die Einsamkeit der Wildnis, gefällt es, wie ich meine, diese Rolle zu spielen. Ich indes wollte wieder eine eigene Persönlichkeit darstellen, weswegen ich den Spiegel anderer Leute suchte, der mir zeigen würde, daß ich nicht so sei wie sie.
     

 
Das Mahl des Hetmans
     
    Es dämmerte schon, als ich die ersten Häuser erreichte. Die Sonne spannte einen rotgoldenen Steg über den See, der die Dorfstraße bis zum Rand der Welt zu verlängern schien, so daß man auf ihm hinaus in das größere Universum hätte wandern können. Aber das Dorf allein, das zwar arm und klein war, wie ich beim Näherkommen feststellte, genügte mir, der ich so lange in großen, entrückten Höhen gewandelt war, vollauf.
    Es gab keinen Gasthof, und da keiner der Bewohner, die über ihre Fenstersimse nach mir spähten, sich besonders gewillt zeigte, mich in sein Heim zu bitten, erkundigte ich mich nach dem Haus des Hetmans und ließ mich in diesem, nachdem ich die dicke Frau, die mir die Tür öffnete, zur Seite geschoben hatte, behaglich nieder. Als der Hetman herbeieilte, um sich den ungebetenen Gast zu besehen, hatte ich schon den zerbrochenen Stein und das Öl ausgepackt und saß in der Wärme seines Feuers über Terminus Est. Er begann mit einer Verbeugung, war aber so neugierig auf mich, daß er’s nicht unterlassen konnte, während der Verbeugung nach mir zu schielen, so daß ich Mühe hatte, mir ein Lachen zu verkneifen, was für mein Vorhaben freilich tödlich gewesen wäre. »Der Optimat ist willkommen«, sagte der Hetman und blähte die runzligen Backen auf. »Höchst willkommen. Mein armes Heim – unser ganze bescheidene Siedlung – stehen ihm zu Verfügung.«
    »Ich bin kein Optimat«, erklärte ich. »Ich bin der Großmeister Severian vom Orden der Wahrheitssucher und Büßer, im Volksmund Gilde der Folterer genannt. Nenne mich der Hetman Meister. Ich habe eine anstrengende Reise hinter mir, und wenn du mir ein gutes Mahl und anständiges Bett angedeihen läßt, werd’ ich dich oder deine Leute vor morgen früh wohl nicht weiter drangsalieren müssen.«
    »Ihr sollt mein eigenes Bett haben«, versicherte er flugs, »und zu essen, was ich bieten kann.«
    »Ihr habt hier bestimmt frischen Fisch und Geflügel vom See. Ich nehm’ beides. Und wilden Reis dazu.« Ich erinnerte mich, daß Meister Gurloes in der Zitadelle einmal über die Beziehung unserer Zunft zu anderen Gilden gesprochen und dabei gesagt hatte, ein Mensch ließe sich am einfachsten unterwerfen, indem man von ihm etwas verlange, was er nicht erfüllen könne. »Honig, neubackenes Brot und Butter würd’ reichen, abgesehen vom Gemüse und Salat, wobei ich mich, da ich diesbezüglich nicht wählerisch bin, gern überraschen lasse. Etwas Feines halt, und etwas, was ich noch nicht gegessen hab’, damit ich im Haus Absolut etwas erzählen kann.«
    Die Augen des Hetmans waren bei meiner Aufzählung immer größer geworden, und als ich das Haus Absolut erwähnte, das in diesem Dorf bestimmt nicht mehr als ein Gerücht war, sprangen sie ihm schier aus dem Kopf. Er begann von Kühen zu faseln (vermutlich daß sich Milch und Butter gebendes Rind in solcher Höhe nicht halten ließ), aber ich winkte ihn hinaus und packte ihn schließlich noch am Kragen, weil er die Tür hinter sich nicht schloß.
    Nachdem er gegangen war, zog ich mir gewagterweise die Stiefel aus. Es zahlt sich nicht aus, wenn man sich locker gibt (und er und sein Dorf waren nun meine Gefangenen, dachte ich, auch wenn sie nicht eingekerkert waren), ich war mir jedoch sicher, daß sich keiner ins Zimmer getraut hätte, bevor nicht irgendein Mahl bereitet wäre. Ich putzte und ölte also Terminus Est weiter und schwang den Wetzstein so lange, bis die Schneiden wieder scharf waren.
    Daraufhin holte ich meinen anderen Schatz (der mir zwar gar nicht gehörte) aus seinem Beutelchen und betrachtete ihn im Feuerschein des Hetmans. Seitdem ich Thrax verlassen hatte, drückte die Klaue nicht

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