Das Schwert des Normannen: Roman (Knaur TB) (German Edition)
etwas Anheimelndes. Ich wiegte sie in meinen Armen, bis sie eingeschlafen war.
*
Wir marschierten weiter in Richtung Süden, vermieden aber die größeren Ortschaften. Gewaltige Berge türmten sich nun zu beiden Seiten des Weges auf, mit dichtbewaldeten Hängen und schroffen Felsgipfeln, die am Abend noch lange in der untergehenden Sonne leuchteten. Ich konnte mich kaum sattsehen, denn Berge wie diese waren ein völlig ungewohnter Anblick. Auch rochen die Wiesen nicht wie daheim nach nassem Gras und modriger Erde, sondern verströmten einen Duft von Wildblumen und Kräutern.
Robert besprach sich oft mit Reynard, der den Weg kannte und kein einziges Mal zögerte, wenn wir an eine Kreuzung kamen. Ohne ihn hätten wir uns in diesen wilden Tälern verloren.
Obwohl er das Plündern verboten hatte, war Robert nicht gewillt, unnütze Zeit auf der Jagd zu vergeuden, nicht in diesen unbekannten Bergwäldern. Es kam ebenfalls nicht in Frage, sein letztes Silber für Nahrung auszugeben. Widerstrebend ließ er es also zu, dass wir unser Essen stahlen. Das war meist recht einfach, denn wenn fünf oder sechs von uns schwerbewaffnet auf einem einsamen Hof auftauchten, rückten die Bauersleute bereitwillig, wenn auch vor Angst zitternd, Korn, Bohnen, Hühner und Zicklein heraus. Was sich einige von uns sonst noch nahmen, will ich lieber gar nicht erwähnen.
Einmal wäre es mir dabei fast an den Kragen gegangen.
Sie hatten Reynard und mich zu einer Hütte geschickt, die in einiger Entfernung in einem Seitental dicht am Waldrand lag. Die war so klein und unscheinbar, dass wir sie nicht weiter beachtet hätten, wäre nicht eine kleine Herde Schafe in der Nähe gewesen. Kein Mensch zu sehen, nicht einmal ein Hund. Eine gute Gelegenheit also. Während die Truppe eine Rast einlegte, wollten wir uns ein paar Hammel holen.
Einer der Krieger, vielleicht war ihm langweilig, schloss sich uns an, Ivain hieß er. Kein besonders großer Kerl, fast schmächtig, aber sehnig und zäh, mit mausgrauem Haar, das ihm tief in die Stirn fiel und sein halbes Gesicht bedeckte. Wahrscheinlich, um die hässliche Brandnarbe zu verbergen, die seine linke Gesichtshälfte verunzierte. Angeblich war er als Jugendlicher beinahe im Feuer umgekommen, als man sein Dorf überfallen und angezündet hatte. Ein Schicksal nicht unähnlich dem meinen. Deshalb mochte ich ihn wohl, obwohl er mich wenig beachtete und nicht viel sprach.
Die Hütte schien verlassen, als wir uns näherten. Also packten wir uns ein paar Schafe und schlachteten sie auf der Stelle. Während wir mit dem Ausweiden beschäftigt waren, stürmte plötzlich wild schreiend ein halbes Dutzend Kerle aus dem Wald und auf uns zu, allen voran ein gefährlich aussehender Ritter zu Pferde, besonders mit dem langen Schwert, das er schwang.
Ich vergaß vor Schreck, meine Waffe zu ziehen. Auch für Reynard, der Schild und Speer zurückgelassen hatte, war der Angriff so überraschend gekommen, dass er nicht viel mehr als eine Warnung brüllen konnte, schon war der Ritter heran. Da ich dem Kerl genau im Weg stand, hätte es mich zweifellos als Ersten erwischt, wäre es mir nicht eben noch gelungen, zur Seite zu springen. Immerhin spürte ich den Luftzug der Klinge, die mich nur einen Fingerbreit verfehlte.
Auch Reynard konnte ausweichen. Und nun hatten wir endlich unsere Schwerter in den Fäusten. Während der Reiter sein Ross wendete, kamen die Bauern mit Stöcken und Heugabeln auf uns zugerannt, um uns in die Mitte zu nehmen. Zwischen ihnen und dem Ritter sah ich mein letztes Stündlein gekommen.
Wer jedoch die Ruhe bewahrte, war Ivain. Der hatte nicht einmal sein Schwert gezogen, hielt nur eine unscheinbare Wurfaxt in der Hand. Als der Reiter erneut heranstürmte, holte Ivain kurz aus und schleuderte die Axt. Mit einem trockenen Knacken, als bräche ein Ast, fuhr sie dem Mann in die Stirn. Der breitete die Arme aus und fiel rücklings auf die Kruppe seines Gauls. Das Pferd scheute, wendete und rannte davon, wobei der Leichnam ins Gras rutschte und liegen blieb.
Hastig drehte ich mich um, um dem Angriff der Bauern oder Schäfer, was immer sie waren, zu begegnen. Aber die waren abrupt stehen geblieben und starrten mit Schrecken auf den Leib ihres toten Herrn. Es schien ihnen die Lust am Kämpfen genommen zu haben, denn nach einigen wütenden Blicken und gereckten Fäusten machten sie sich aus dem Staub.
Auch wir beeilten uns, die noch blutigen Schafsleiber über die Schulter zu werfen, und kehrten,
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