Das Schwert des Sehers
in der Ferne so klein wie Pfützen.
Bald gabelte sich der Weg. Die eine Seite führte nach Norden und folgte dem Verlauf der Berge, eine Linie von grauem, rissigem Pflaster, das dunkel glänzte und sich dann in der graubraunen Landschaft verlor. Der andere Weg verlief nach Osten. Einst mochte es auch eine Straße gewesen sein, jetzt sah man nur noch dann und wann einen Pflaster- oder Begrenzungsstein aus dem Schlamm hervorschauen.
Zweifelnd spähte Sobrun den Pfad hinunter, der geradewegs in den Sumpf hineinführte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das der kürzere Weg ist«, murrte er.
»Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst«, sagte Lacan und fügte nach einer Pause hinzu: »Auch wenn ich deine Gesellschaft vermissen würde.«
Sie hatten beide ihre Pferde gezügelt und betrachteten den Weg. Sobrun wandte den Kopf und blickte ihren Gefährten nach – knapp ein Dutzend Ritter und Waffenknechte, die entlang des Hauptweges weitertrotteten. Ein paar von ihnen nickten Lacan zum Abschied zu, keiner hielt an.
»Weiß schon, mit wem ich lieber reite«, sagte Sobrun. »Ich hab nur das Gefühl, nun muss ich mich entscheiden, zwischen der besseren Gesellschaft und dem besseren Weg.«
»Sieh’s mal so«, sagte Lacan. »Mein Weg führt geradewegsfort von den Schwarzen Bergen, während die anderen noch hundert Meilen in deren Schatten unterwegs sein werden.«
»Aber mit festem Boden unter den Füßen. Ich kann nur schwer hoffen, dass nicht in jedem von den Löchern so ein Monster lauert.«
»Die Straße nach Horome ist besser erhalten«, räumte Lacan ein. »Aber den Weg nach Meerbergen können wir auch kaum verfehlen, wenn wir uns einfach ostwärts halten. Komm, Sobrun. Ich habe heute Morgen genug Sumpfwasser getrunken und werde schon aufpassen, dass wir auf dem Trockenen bleiben.«
Sobrun nickte. Er stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken, und gemeinsam folgten sie dem Weg. Bald waren sie allein, und ihre Gefährten, die zur Hauptstadt zogen, verschwanden im Nebel.
Der schmalere Weg, oder was davon übrig war, wand sich wie ein Lindwurm durch die Landschaft. Mitunter führte die Spur von behauenen Steinen geradewegs in eine überflutete Mulde, und die beiden Reiter mussten ihre Pferde am Zügel darum herumführen.
Sobrun beäugte misstrauisch jede Wasserfläche.
»Keine Sorge«, sagte Lacan. »Das Sumpfgebiet kann nicht so groß sein. Ein Tag sollte reichen, dann kommen wir auf trockeneren Boden.«
»Ihr kennt Euch hier aus?«, fragte der alte Kämpfer.
»Ich hab mit ein paar Leuten aus meiner Heimat gesprochen. Dieser Weg wird seltener benutzt als die Heerstraße nach Horome, aber er gilt nicht als unsicher. Und von den Schlangenbestien habe ich zuvor niemals reden hören. Es kann also nicht viele davon geben.«
Zur Sonnenstunde machten sie Rast auf einem trockenen Hügel, der Weg, dem sie folgten, versank wieder einmal im Morast. Als sie weiterritten, folgte Lacan nicht mehr derSpur der ursprünglichen Straße, sondern wählte oft den geraden Weg, Abkürzungen zwischen den Tümpeln und Seen hindurch, wo der Weg ihm gangbar erschien. Ihm war sehr daran gelegen, dass sie den Sumpf vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich ließen.
Auf einer weiteren Anhöhe hielt Sobrun inne und rief Lacan zu sich. »Seht Ihr, Herr, dort hinten?«
Lacan lenkte sein Ross an die Seite seines Begleiters. Er spähte über den Sumpf. An einem der Wasserlöcher, die in der Ferne glitzerten, lag ein merkwürdiger Schatten am Ufer. »Was ist das?«, fragte er.
Sobrun zuckte die Achseln. »Es sieht aus wie ein Baum, der ins Wasser gestürzt ist«, befand er. »Aber ich habe keine großen Bäume in diesem Sumpf gesehen, also …«
Lacan fröstelte. Er stellte sich dieselbe Frage wie der alte Söldner: Ob dort wohl eines der Schlangenwesen ans Ufer gekrochen war?
»Wir müssen dorthin«, sagte er.
»Hätt jetzt eher das Gegenteil gesagt …«, murmelte Sobrun.
»Nein«, sagte Lacan zu seinem Gefährten. »Denk nach: Die Bestien sind eine Gefahr für jeden unserer Brüder, der irgendwann diesen Weg nehmen wird. Aber an Land können wir sie verletzen. Wenn eine von ihnen dort liegt, müssen wir die Gelegenheit nutzen.«
Mit den Pferden konnten sie kaum unbemerkt herankommen. Also saßen sie ab und schlichen gebückt durch das Gestrüpp. Das letzte Stück krochen sie beinahe. Sie bewegten sich langsam, damit ihre Waffen und ihre Rüstungen keine verräterischen Geräusche machten.
Sie spähten durch eine Hecke
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