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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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schritt die Treppe eines Turmes hinauf, und Dauras folgte ihr. Es war ein hoher Turm, und es gab mehrere massive Türen, deren Schlüssel nicht alle in derselben Hand lagen. Doch Aruda hatte sich sämtliche Schlüssel aushändigen lassen, bevor sie diesen Besuch unternahm.
    Als sie die vorletzte Türe aufschloss, hielt Dauras vor dem Fenster inne. Er schloss die Augen und sah versonnen aus.
    »Was hast du?« Aruda wandte sich zu ihm um.
    »Man sagte mir, von den Türmen des Palastes aus könne man bei Nacht die Stadt sehen, ein Meer von kleinen Lichtern, das bis zum Horizont reicht. Ich kann es mir schwer vorstellen.«
    »Oh doch«, erwiderte Aruda. »In guten Nächten. Aber in der Wirklichkeit ist der Anblick viel weniger poetisch, als diese Beschreibung es verspricht.«
    »Meine Sinne reichen kaum über die Insel hinaus«, sagte Dauras. »Dahinter glaube ich ein Brodeln zu spüren, ein Wabern, und ich weiß nicht, ob es der Widerhall von allzu vielen Seelen auf zu engem Raum ist oder nur eine Einbildung, weil ich meine Sinne zu weit ausdehne und irgendetwas erwarte.«
    »Ein Wabern und Brodeln«, wiederholte Aruda. »Das mag schon sein. Jenseits der Mauern des Palastes herrscht das Chaos. Lass uns etwas dagegen tun.«
    Sie trat durch die Tür und in eine Wachstube, die oben im Turm lag, unter der letzten und höchsten Kammer. Drei Posten taten dort Dienst, keiner von ihnen trug die Farben der Garde.
    »Warte hier«, sagte Aruda zu Dauras. »Ich will allein mit ihm reden.
    »Ist das klug?«, fragte Dauras. »Selbst ich habe eine Menge über Arnulf von Meerbergen gehört, und nichts davon gibt mir Anlass, ihm zu vertrauen.«
    »Ich habe auch eine Menge über ihn gehört«, sagte Aruda. »Aber nie, dass er ein Dummkopf wäre. Was für einen Vorteil hätte er, wenn er seine Kaiserin angreift? Zumal sie mit einem solchen Angebot zu ihm kommt.«
    Dauras schnaubte. »Da habt Ihr wohl recht, Majestät.«
    Er trat zu den Wachen, die sich erhoben hatten, als die Kaiserin eintrat. Mit dem Schwert fegte er Trinkbecher, Münzen und ein Würfelspiel vom Tisch und setzte sich darauf.
    Die Männer funkelten ihn an.
    »Was?«, fragte Dauras herausfordernd.
    »Nichts   … Herr«, murmelte einer der Posten. Alle drei Männer senkten den Kopf, wichen schweigend zurück zur gegenüberliegenden Wand.
    Dauras saß mit dem Rücken zu ihnen. Er legte das Schwert auf seinen Schoß, und nur Aruda sah, wie er lächelte. Sie schüttelte den Kopf. »Lass dich nicht auf ein Würfelspiel ein«, warnte sie.
    »Keine Sorge«, erwiderte Dauras. »Ich lasse mich nie auf ein Glücksspiel ein, bei dem ich die Zahlen nicht sehen kann.«
    Aruda stieg die letzte Treppe hinauf. Ihre Füße fühlten sich schwer an. War es das Schicksal eines Herrschers, dass er sich mit gefährlichen Männern umgeben musste? Sie kämpfte gegen das Gefühl an, dass sie nicht nur in das Amt ihres Vaters geschlüpft war, sondern förmlich in seine Haut. Aber sie war nicht ihr Vater, den das Volk hinter seinem Rücken als den wahnsinnigen Kaiser beschimpft hatte!
    Dennoch, sie hatte Feinde, die ohne Bedenken töteten. Das hatte sie auf dem Weg in die Hauptstadt erfahren. Darum brauchte sie Dauras, der in dieser Hinsicht genauso wenig Bedenken zeigte, jedoch umso mehr Geschick. Seine bloße Gegenwart reichte aus, um Schlimmeres zu verhindern.
    Wenn es gut lief, erfüllte er bereits seinen Zweck, indem er einfach nur hinter ihr stand. Sie hatte selbst erlebt, wie sich das Verhalten der Höflinge veränderte, wenn sie mit Dauras an ihrer Seite einen Raum betrat. Wer sich ihr gegenüber im Ton vergriffen hatte und frech oder gönnerhaft sprach, der tat das nicht noch einmal, wenn der blinde Schwertkämpfer dabei war und wenn dessen toten Augen auf dem Betreffenden ruhten.
    Dauras, befand Aruda, war so etwas wie eine Aura des wahnsinnigen Kaisers, die sie anziehen konnte. Sie konnte sie aber auch jederzeit wieder abstreifen, und das war weit besser, als wenn sie tatsächlich in der Haut ihres Vaters gesteckt hätte.
    Der Mönch war der richtige Mann, um den Leuten, die ihr gegenüberstanden, Respekt einzuflößen. Kanzler Arnulf von Meerbergen hingegen war womöglich der Einzige, der dem Amt des Kaisers überall im Reich Respekt verschaffen konnte   – der ganze Städte und Grafschaften dazu bringen konnte, demütig das Haupt zu neigen. Und deswegen musste sie zuerst mit ihm unter vier Augen sprechen.
    Auf dem Absatz vor der letzten Türe hielt Aruda inne. Sie nestelte nach den

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