Das Schwert des Sehers
genossen, und da Ihr die letzte Zeit hier oben im Turm verbracht habt, kann ich mir gewiss sein, dass ihr nicht zu jenen gehört, deren Feindseligkeit ich in den letzten Tagen zu spüren bekam …«
»Ich habe niemals gegen den Kaiser gearbeitet, Majestät.« Arnulf von Meerbergen rutschte von seinem Hocker und fiel auf die Knie. Er war immer noch größer als die sitzende Kaiserin. »Und ich würde mich niemals gegen Euch wenden. Im Gegenteil – ich habe es stets bedauert, wie wenig Aufmerksamkeit Ihr genießt. Ich habe versucht, Euch bei Hofe einzuführen und Euch eine Vertraute an die Seite zu stellen. Leider gibt es zu viele Neider an diesem Ort. Sie haben meine Vertrauten ermordet, sobald sie die Gefahr witterten, dass ich Eure Gunst erlangen könnte.« Er zuckte die Achseln. »Ich musste also aufgeben, denn leider konnte ich auch Euren Vater nicht dafür gewinnen, Euch mehr Schutz zu gewähren.«
Aruda seufzte. »Ich erinnere mich an die eine oder andere unerfreuliche Begebenheit in meiner Kindheit. Es ist nicht zuändern. Aber wenn Ihr bereit seid, mich jetzt zu unterstützen und Euer Amt wieder zu übernehmen, dann werde ich heute noch den Befehl unterzeichnen und Euch auf freien Fuß setzen.«
Die Kaiserin verließ die Turmzelle, mit den Namen der Verbündeten, die der Kanzler bei seiner Freilassung an seiner Seite haben wollte. Arnulf ging hinter ihr her. Er hörte, wie der Schlüssel sich wieder drehte und wie die Tür verriegelt wurde – ein letztes Mal, wie er hoffen konnte. Die Schritte der Kaiserin entfernten sich scharrend über die Treppe.
Er hörte eine Stimme an seinem Ohr: » Eine Vertraute an die Seite zu stellen … Hast du da die Wahrheit nicht ein wenig verdreht, mein Lieber? Du hast ihre Vertrauten ermordet, wenn ich mich recht erinnere.«
»Das war nicht gegen sie gerichtet«, erwiderte Arnulf von Meerbergen gekränkt. »Ich konnte nicht zulassen, dass einer von denen Einfluss auf eine Prinzessin gewinnt.«
Die dünne, leise Stimme kicherte. »Dennoch, ich bezichtige dich der Heuchelei, mein alter Freund. Du hättest dir damals selbst mehr Mühe geben können, um sie zu deiner Verbündeten zu machen.«
Arnulf schnaufte. »Warum hätte ich so viel investieren sollen? Niemand wusste, ob der Kaiser sie aus dem Weg räumt, so wie ihre Mutter. Nein, es hat vollkommen ausgereicht, sie zu isolieren, nicht wahr? Und jetzt, wo es sich lohnt, werde ich schon alles nachholen. Ich mache mich unentbehrlich für sie.«
»Oh ja, du machst dich zum wichtigsten Mann in ihrem Leben, was? Das hättest du wohl gern.« Die Stimme klang spöttisch.
Aber Arnulf nickte ganz ernsthaft. »Oh ja. Dein Rat istgut, wie immer, mein Dämon. Genau dort gehöre ich hin. An ihre Seite. Arnulf von Meerbergen, Kaiser des Omukchar. Wie klingt das für dich?«
Die Stimme lachte, leise und wie von weit her. »Köstlich«, sagte sie. »Einfach köstlich, mein Lieber.«
Als sie am Ausgang des Turmes standen, zückte Dauras sein Schwert.
»Was ist los?«, fragte Aruda.
»Da stürmt jemand auf uns zu«, sagte Dauras.
Er schob die Kaiserin hinter sich und zog die Tür auf. Ein Page fiel ihm beinahe entgegen. Er atmete schwer. »Majestät …«, keuchte er, als er Aruda erblickte.
Dauras hielt ihn fest, doch der Junge sah nicht gefährlich aus. »Euer Kaplan!«, stieß er hervor.
Bertin von Ebran war der Erzkaplan der kaiserlichen Hofkapelle. Ohne Zweifel war er gemeint. Aruda konnte sich allerdings kaum vorstellen, wie dieser Mann zu einer solchen Aufregung Anlass geben konnte. Sie kannte den Priester als jovialen, wenngleich etwas oberflächlichen Mann.
Auf seine Weise, dachte Aruda, musste der Kaplan zu Zeiten ihres Vaters ebenso einsam gewesen sein wie sie: jemand, der eine gewisse Position und eine Stellung bei Hofe hatte, die aber in der Welt des wahnsinnigen Kaisers gar keinen Platz zu haben schien. Vielleicht sollte sie auch mit ihm das Gespräch suchen, überlegte Aruda.
»Was ist mit Kaplan von Ebran?«, fragte sie. »Will er mich sprechen?«
»Er ist tot!«, rief der Page.
Aruda zuckte zusammen. Bertin war ihr immer alt vorgekommen, aber nicht so alt. Sie hatte auch nie gehört, dass er krank war. »Ich hoffe«, sagte sie, »er wurde nicht ermordet?«
Der Page schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Es sieht so aus … Ich habe gehört …« Er sah sich ängstlich um.
»Nun sprich schon«, sagte Dauras. »Wer nicht weiß, wie er einen Satz zu Ende bringt, sollte ihn gar nicht
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