Das Schwert des Sehers
…«
»Ihr habt ihn oft besucht in den Monaten vor seinem Tod.«
Havad atmete tief durch. Er sammelte sich einen Augenblick und sprach dann ruhig weiter: »Wir haben darüber geredet, wie man den Glauben im Reich stärken kann. Was auch immer Bruder Bertin für einen Eindruck vermittelt hat – er war aufrichtig besorgt um den spirituellen Zustand bei Hofe. Natürlich hat er den Kontakt zu den Großen gepflegt – doch nur, weil er sie auf diesem Wege erreichen konnte! In zwangloser Runde kommt man den Seelen der Menschen mitunter näher, als wenn man darauf wartet, dass sie in die Kapelle kommen und einer Predigt lauschen.«
»Waren das seine Worte, oder sind das Eure Gedanken?«, fragte Meris. »Ihr betreut die Gemütskranken des Hospitals. Da dürftet Ihr weder mit Geselligkeit noch mit dem Predigen im Tempel viel Erfahrung sammeln.«
Havad verzog das Gesicht. »Was genau wollt Ihr eigentlich von mir? Im Augenblick kommt es mir fast so vor, als wolltet Ihr meine priesterliche Geduld und Demut auf die Probe stellen.«
»Die Kaiserin hat mich beauftragt, den Tod ihres Hofkaplans zu untersuchen.« Meris lächelte den Heilkundigen liebenswürdig an. »Das betrifft seinen Lebenswandel, seine Verbindungen und damit auch Euch.«
»Nun gut«, sagte Havad. »Wenn Ihr wissen wollt, ob ich irgendetwas mit dem Tod des Kaplans zu tun habe – meinetwegen. Bponur weiß, diese Frage ist berechtigt. Aber wenn Ihr Bruder Bertins Gesinnung in Zweifel zieht, so tut Ihr ihm unrecht. Er hat sein Bestes gegeben, nicht nur für den Glauben, sondern für das Wohl aller.«
»Er hat sich das Leben genommen«, wandte Meris ein. »Weckt das nicht Zweifel an seinem Charakter?«
Havad verzog gequält das Gesicht. Sein Blick schweifte zu den Fenstern, doch durch das trübe Glas konnte er nicht hinausschauen. »Es ist allenfalls … tragisch«, stieß er hervor. »Wenn er verzweifelt war, dann nur, weil er das Beste wollte, und … nun, die Welt ihm etwas anderes gegeben hat.«
»Und Ihr fühlt Euch schuldig?«
Havad zuckte wieder zusammen. »Nun ja«, sagte er. »Wie Ihr wisst, habe ich oft mit Bruder Bertin gesprochen. Er war ein Freund für mich. Und Ihr kennt meine Berufung im Orden. Hätte ich also nicht erkennen müssen, wie es um ihn steht, und ihm helfen müssen?«
»War er denn gemütskrank?«, fragte Meris. »Hat er darum Euren Rat gesucht?«
»Nein …« Havad zögerte. »Ja … Nein, er hat nicht meinen Rat gesucht. Ich glaube, als wir uns zum ersten Mal trafen, war ich derjenige, der ihn ansprach. Aber er hat sehr unter allem gelitten, was … was einfach nicht gottgefällig ist. Gewisse Dinge bei Hofe. Die Zustände im Reich. Das Verhalten der Menschen. Wir haben uns oft darüber unterhalten, wie man die Welt heilen könnte. Natürlich nur ihm Rahmen des Auftrags, den Bponur seinen geweihten Vertretern erteilt hat.«
Anstatt auf meinen Gott zu vertrauen, wollte ich selbst die Welt heilen.
Meris dachte an die Worte aus dem letzten Brief des Kanzlers, die jetzt auch der Heiler benutzte.
»Könnt Ihr Euch vorstellen, wie der Erzkaplan Unglück über das Reich bringen konnte bei seinem Versuch, die Welt zu heilen?«, fragte sie.
Der Heiler schaute auf den Tisch. »Nein … nein … Wie kommt Ihr darauf?«, stammelte er endlich.
»Er hat einen Brief hinterlassen. Er meinte, er habe sichüber sein Amt erhoben, und sein Tod sei die Strafe dafür. Ich habe das Gefühl, Ihr könntet mir mehr darüber sagen.«
Doch Bruder Havad hatte keine Antworten mehr für sie, und schließlich verabschiedete Meris sich, entschlossen, noch einmal wiederzukommen, aber zuvor gab es weitere Priester, mit denen sie reden wollte, andere ungewöhnliche Verbindungen, die der Erzkaplan im letzten Jahr vor seinem Tod gepflegt hatte. Die meisten von ihnen waren gleichfalls Heiler oder Helfer am Tempelhospital.
»Kennt Ihr Bruder Hamur?«, fragte sie Havad, nachdem sie sich bereits erhoben hatte.
»Hamur? Nein … Ich meine, ja. Ich kenne natürlich einen Bruder Hamur. Mehrere sogar, zumindest flüchtig.«
»Ich meine den stellvertretenden Leiter der Apotheke des Hospitals. Bruder Hamur, den Gelehrten für Heilmittel.«
»Ja, den«, sagte Havad. »Das ist der, den ich am besten kenne. Er … bringt Kräuter für die Gemütskranken. Beruhigungsmittel. Wir … reden öfter miteinander. Warum wollt Ihr das wissen?«
»Er steht auch auf meiner Liste. Wisst Ihr, was er mit dem Erzkaplan zu tun hatte?«
Havad
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