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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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zuvor? Suchte auch er Verbündete? Er war bereits ein mächtiger und beliebter Mann; jetzt sah sie, dass er wohl größere Ziele hatte. Er war fähig, schnell zu reagieren, Gelegenheiten wahrzunehmen.
    Sie bedachte das alles sorgfältig und wusste, dass selbst der kleinste Umstand zu ihrem Vermögen in der Währung der Macht beitrug.
    Den ganzen Tag gingen ihr die anderen Mädchen aus dem Weg; sie steckten tuschelnd die Köpfe zusammen und verstummten, sobald sie vorbeikam. Zwei hatten rote Augen; vielleicht hatten sie den Toten gemocht, oder er war ihr Liebhaber gewesen. Keine zeigte Kaede irgendwelches Mitgefühl. Kaede hasste die Mädchen noch mehr wegen dieser Haltung. Die meisten von ihnen waren in der Stadt oder in nahen Dörfern zu Hause; sie hatten Eltern und Familien, an die sie sich wenden konnten. Sie waren keine Geiseln. Und er, der tote Wachmann, hatte sie gepackt, hatte sie zwingen wollen. Jede, die einen solchen Mann liebte, musste schwachsinnig sein.
    Ein Dienstmädchen, das sie noch nie gesehen hatte, holte sie ab, redete sie dabei als Lady Shirakawa an und verbeugte sich respektvoll vor ihr. Kaede folgte ihr die steilen Kopfsteinstufen hinunter, die vom Schloss zum Wohnsitz führten, durch den Burghof, unter dem großen Tor hindurch, wo die Wachtposten sich wütend abwandten, und in die Gärten, die Lord Noguchis Haus umgaben.
    Kaede hatte oft die Gärten vom Schloss aus gesehen, aber jetzt ging sie zum ersten Mal, seit sie sieben gewesen war, wieder hindurch. Sie wurde in ein kleines Zimmer auf der Rückseite des großen Hauses geführt.
    »Bitte warten Sie hier ein paar Minuten, Lady.«
    Nachdem das Mädchen gegangen war, kniete sich Kaede auf den Boden. Das Zimmer war gut geschnitten, obwohl es nicht geräumig war, und die geöffneten Türen gingen auf einen winzigen Garten hinaus. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne kam immer wieder durch und verwandelte den tropfenden Garten in eine schimmernde Lichtfülle. Kaede betrachtete die steinerne Laterne, die kleine, verbogene Pinie, den Brunnen mit klarem Wasser. Grillen sangen in den Zweigen; ein Frosch quakte kurz. Der Friede und die Stille ließen etwas in ihrem Herzen schmelzen und sie spürte plötzlich Tränen aufsteigen.
    Sie drängte sie zurück und konzentrierte sich darauf, wie sehr sie die Noguchi hasste. Sie entblößte die Arme und betastete ihre Prellungen. Die Noguchi kamen ihr noch abscheulicher vor, weil sie in diesem wunderschönen Haus wohnten, während sie, ein Mitglied der Familie Shirakawa, bei den Dienstboten hatte hausen müssen.
    Die Innentür hinter ihr wurde aufgeschoben, und eine Frau sagte: »Lord Noguchi wünscht Sie zu sprechen, Lady.«
    »Dann musst du mir helfen, mich fertig zu machen.« Sie konnte es nicht ertragen, so vor ihm zu erscheinen, mit ungekämmten Haaren, in alten und schmutzigen Kleidern.
    Die Frau kam ins Zimmer; Kaede drehte sich zu ihr um. Sie war alt, und obwohl ihr Gesicht glatt war und ihr Haar noch schwarz, hatte sie runzlige, schwielige Hände wie Affenpfoten. Sie betrachtete Kaede überrascht. Dann packte sie schweigend das Bündel aus und nahm ein etwas saubreres Gewand heraus, dazu einen Kamm und Haarnadeln.
    »Wo sind die anderen Kleider meiner Lady?«
    »Ich bin hierher gekommen, als ich sieben war«, sagte Kaede ärgerlich. »Glaubst du nicht, dass ich seither gewachsen bin? Meine Mutter hat mir Sachen geschickt, aber ich durfte sie nicht behalten!«
    Die Frau schnalzte mit der Zunge. »Ein Glück, dass meine Lady so schön ist, dass sie keinen Schmuck nötig hat.«
    »Wovon redest du?« Kaede hatte keine Ahnung, wie sie aussah.
    »Ich werde Sie jetzt frisieren. Und saubere Fußbekleidung für Sie holen. Ich bin Junko. Lady Noguchi hat mich geschickt, Ihnen zu dienen. Ich werde später mit ihr über Kleider reden.«
    Junko ging hinaus und kam mit zwei Mädchen zurück, die eine Schüssel Wasser, saubere Socken und einen kleinen, geschnitzten Kasten trugen. Junko wusch Kaede Gesicht, Hände und Füße und kämmte ihr langes schwarzes Haar. Die Dienstmädchen murmelten vor sich hin, als wären sie überrascht.
    »Was ist los? Was meinen sie?«, fragte Kaede nervös.
    Junko öffnete den Kasten und nahm einen runden Spiegel heraus. Auf seiner Rückseite waren wunderschöne Blumen und Vögel eingeschnitzt. Sie hielt ihn so, dass Kaede hineinschauen konnte. Es war das erste Mal, dass sie in einen Spiegel sah. Der Anblick ihres eigenen Gesichts ließ sie verstummen.
    Die Aufmerksamkeiten und die

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