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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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sagen, schien es sich aber dann anders zu überlegen. Eilig ging er die Treppe hinunter.
    Sie blieb stehen und schaute aus den Fenstern. Der Wind von den Bergen blies rau und feucht herein. Die Aussicht war fast ganz von Wolken verdeckt, doch unter ihr lag der Wohnsitz der Noguchi. Dort, dachte Kaede wütend, sollte sie von Rechts wegen wohnen, statt im Regen herumzurennen und auf jeden Wink zu gehorchen.
    »Wenn du schon herumtrödelst, Lady Shirakawa, dann komm und setz dich zu uns«, sagte einer der Wachmänner. Er trat zu ihr und gab ihr einen Klaps auf den Hintern.
    »Hände weg!«, sagte sie wütend.
    Die Männer lachten. Kaede fürchtete diese Stimmung: Sie waren gelangweilt und gereizt, sie hatten den Regen satt, das ständige Wachen und Warten, das Nichtstun.
    »Ah, der Hauptmann hat sein Messer vergessen«, sagte einer von ihnen. »Kaede, lauf ihm nach.«
    Sie nahm das schwere Messer und balancierte es in der linken Hand.
    Die Männer witzelten: »Sie sieht gefährlich aus. Schneide dich nicht, kleine Schwester!«
    Kaede lief die Treppe hinunter, aber Arai hatte den Hauptturm bereits verlassen. Sie hörte seine Stimme im Hof und wollte ihn schon rufen, doch bevor sie draußen war, trat der Mann, der sie zuvor angesprochen hatte, aus dem Wachraum. Sie blieb abrupt stehen und versteckte das Messer hinter ihrem Rücken. Der Mann baute sich direkt vor ihr auf, er stand ganz nah und verdeckte das graue Licht von draußen.
    »Komm schon, Kaede, zeig mir, dass du kein Junge bist!«
    Er packte sie an der rechten Hand, zog sie an sich, schob ihr ein Bein zwischen die Schenkel und zwang sie auseinander. Sie spürte das hart angeschwollene Geschlecht, und fast ohne zu überlegen, stieß sie ihm das Messer in den Hals.
    Er schrie sofort auf und ließ sie los, fasste sich an den Hals und starrte sie verwirrt an. Er war nicht schwer verletzt, doch die Wunde blutete stark. Kaede konnte nicht glauben, was sie getan hatte. Ich bin tot, dachte sie. Als der Mann um Hilfe schrie, kam Arai zurück. Mit einem Blick erfasste er, was geschehen war, nahm Kaede das Messer ab und durchschnitt dem Wachtposten ohne zu zögern die Kehle. Der Mann fiel gurgelnd zu Boden.
    Arai zog Kaede hinaus. Der Regen prasselte auf sie herunter. Arai flüsterte: »Er wollte Sie vergewaltigen. Ich bin zurückgekommen und habe ihn getötet. Wenn Sie etwas anderes sagen, sind wir beide tot.«
    Sie nickte. Er hatte seine Waffe zurückgelassen, sie hatte einen Wachtposten verletzt: zwei unentschuldbare Vergehen. Arais schnelle Reaktion hatte den einzigen Zeugen beseitigt. Sie glaubte, der Tod des Mannes und ihr Anteil daran würden sie schockieren, doch sie stellte fest, dass sie nur froh war. So müssen sie denn alle sterben, dachte sie, die Noguchi, die Tohan, der ganze Clan.
    »Ich werde Ihretwegen mit Seiner Lordschaft reden, Lady Shirakawa«, sagte Arai. Kaede zuckte überrascht zusammen. »Er sollte Sie nicht schutzlos lassen.« Wie im Selbstgespräch fügte er hinzu: »Ein Ehrenmann würde das nicht tun.«
    Laut rief er die Treppe hinauf nach den Wachtposten, dann sagte er zu Kaede: »Vergessen Sie nicht, ich habe Ihnen das Leben gerettet. Mehr als das Leben!«
    Sie schaute ihm in die Augen. »Vergessen Sie nicht, dass es Ihr Messer war.«
    Das zwang ihm ein schiefes, respektvolles Lächeln ab. »Dann hat jeder von uns den anderen in der Hand.«
    »Was ist mit ihnen?«, frage sie, als sie schwere Schritte auf der Treppe hörte. »Sie wissen, dass ich mit dem Messer heruntergekommen bin.«
    »Sie werden mich nicht verraten. Ich kann ihnen vertrauen.«
    »Ich vertraue keinem«, flüsterte sie.
    »Sie müssen mir vertrauen«, sagte er.
    Später an diesem Tag wurde Kaede gesagt, sie solle in die Residenz der Familie Noguchi ziehen. Als sie ihre wenigen Habseligkeiten in ihr Tragetuch wickelte, streichelte sie das verblasste Muster: den weißen Fluss, das Wappen ihrer Familie und die Zwillingszedern, das Wappen der Seishuu. Sie schämte sich, weil sie so wenig besaß. Immer wieder gingen ihr die Ereignisse des Tages durch den Kopf: das Gefühl des Messers in der verbotenen linken Hand, der Griff des Mannes, seine Begierde, wie er gestorben war. Und Arais Worte: Ein Ehrenmann würde das nicht tun! So hätte er nicht von seinem Herrn sprechen sollen. Er hätte es nie gewagt, nicht einmal ihr gegenüber, wenn er nicht bereits Rebellion im Sinn gehabt hätte. Warum hatte er sie so gut behandelt, nicht nur in diesem entscheidenden Augenblick, sondern auch

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