Das Schwert in Der Stille
Das Haus sang für mich, und ich verliebte mich in das Haus. Ich wollte zu ihm gehören. Alles würde ich für das Haus tun und alles, was sein Besitzer von mir verlangte.
Als wir die Mahlzeit beendet hatten und die Tabletts weggeräumt waren, setzten wir uns ans offene Fenster, während die Nacht hereinbrach. Im letzten Licht deutete Lord Otori auf den hinteren Teil des Gartens. Der Bach fiel in Kaskaden herab und floss unter einer niedrigen Öffnung in der ziegelgedeckten Mauer in den Fluss darunter. Der Fluss gab ein tiefes, dauerndes Rauschen von sich und seine graugrünen Wasser füllten die Öffnung wie ein bemalter Schirm.
»Es ist gut, nach Hause zu kommen«, sagte Lord Otori leise. »Aber wie der Fluss immer vor der Tür ist, so ist die Welt immer draußen. Und in der Welt müssen wir leben.«
KAPITEL 2
Im selben Jahr, in dem in Mino Otori Shigeru den Jungen rettete, der Otori Takeo werden sollte, fanden gewisse Ereignisse in einem Schloss weit im Süden statt. Iida Sadamu hatte das Schloss Noguchi Masayoshi zum Dank für dessen Unterstützung in der Schlacht von Yaegahara geschenkt. Nachdem Iida seine Erbfeinde, die Otori, besiegt und ihre Kapitulation zu günstigen Bedingungen für sich erzwungen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem dritten großen Clan in den drei Ländern zu, den Seishuu, deren Domänen den größten Teil des Südens und des Westens einnahmen. Die Seishuu sicherten den Frieden lieber durch Bündnisse als durch Krieg, und diese Bündnisse wurden mit Geiseln besiegelt, die von großen Domänen kamen wie die Maruyama und von kleineren wie die Shirakawa, ihre engen Verwandten.
Als Lord Shirakawas älteste Tochter, Kaede, gerade die Schärpe der Kindheit mit der eines Mädchens vertauscht hatte, kam sie als Geisel nach Schloss Noguchi. Inzwischen hatte sie dort ihr halbes Leben verbracht - Zeit genug, um tausend Dinge ihres Zwangsaufenthalts zu hassen. Nachts, wenn sie zu müde zum Schlafen war und noch nicht einmal wagte, sich hin und her zu wälzen, weil eines der älteren Mädchen herüberlangen und sie schlagen könnte, machte sie im Kopf Listen dieser Abscheulichkeiten. Sie hatte früh gelernt, ihre Gedanken für sich zu behalten. Wenigstens konnte niemand in ihr Inneres langen und ihre Gedanken schlagen, auch wenn sie wusste, dass manche das gern getan hätten. Deshalb wurde sie auch so oft auf den Körper oder ins Gesicht geschlagen.
Beharrlich wie ein Kind klammerte sie sich an die schwachen Erinnerungen an ihr Zuhause, das sie mit sieben verlassen hatte. Seit ihr Vater sie damals zu diesem Schloss begleitete, hatte sie ihre Mutter und ihre jüngeren Schwestern nicht mehr gesehen.
Ihr Vater war seither dreimal zurückgekehrt und hatte feststellen müssen, dass sie bei den Dienstboten untergebracht war, nicht bei den Noguchikindern, wie es sich für die Tochter einer Kriegerfamilie gehört hätte. Seine Erniedrigung war vollständig: Er konnte noch nicht einmal protestieren, obwohl Kaede mit ihrer ungewöhnlichen Beobachtungsgabe Schock und Zorn in seinen Augen gesehen hatte. Bei den ersten beiden Besuchen hatten sie ein paar Augenblicke unbeobachtet miteinander reden können. Am deutlichsten erinnerte sie sich daran, wie er sie an den Schultern gefasst und eindringlich gesagt hatte: »Wenn du nur als Junge geboren wärst!« Beim dritten Mal durfte er sie nur sehen. Danach war er nicht mehr gekommen, und Kaede hatte keine Nachrichten mehr von zu Hause.
Seine Gründe verstand sie vollkommen. Weil sie Augen und Ohren offen hielt und die wenigen Menschen, die ihr wohlgesinnt waren, in scheinbar unverfängliche Gespräche zu ziehen wusste, kannte sie mit zwölf ihre eigene Situation genau: Sie war eine Geisel, ein Pfand in den Auseinandersetzungen zwischen den Clans. Ihr Leben war den Lords, die sie faktisch besaßen, nichts wert bis auf die Tatsache, dass sie die Verhandlungsposition der Besitzer stärkte. Ihr Vater war Herr über die strategisch wichtige Domäne Shirakawa; ihre Mutter war eng mit den Maruyama verwandt. Weil ihr Vater keine Söhne hatte, galt Kaedes künftiger Mann als sein Erbe. Indem die Noguchi sie besaßen, verfügten sie ebenso über die Loyalität, die Bündnistreue und das Erbe ihres Vaters.
Kaede beschäftigte sich noch nicht einmal mehr mit den großen Gefühlen - Angst, Heimweh, Einsamkeit -, sondern stellte an die Spitze des Verhassten die Erkenntnis, dass die Noguchi sie auch als Geisel missachteten. Das hasste sie ebenso wie die Neckereien der
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