Das Schwert in Der Stille
konzentriert aus der Schulter und nicht aus dem Handgelenk zu zeichnen. Ich wusste, dass ich ihn nur nachahmte, aber die Resultate waren ausreichend.
Das Gleiche geschah, als Lord Shigeru mich im Gebrauch des Schwerts unterwies. Ich war hinreichend kräftig und behände, vielleicht sogar überdurchschnittlich für meine Größe, aber mir fehlten die Knabenjahre, in denen Kriegersöhne endlos mit Schwert und Bogen üben und sich im Reiten vervollkommnen. Ich wusste, dass ich diese Jahre nie nachholen konnte.
Das Reiten fiel mir eher leicht. Ich beobachtete Lord Shigeru und die anderen Männer und merkte, dass es vor allem eine Sache des Gleichgewichts war. Ich imitierte einfach, was ich die anderen machen sah, und das Pferd reagierte. Ich erkannte auch, dass das Pferd scheuer und nervöser war als ich. Ihm gegenüber musste ich mich verhalten wie ein Lord, seinetwegen meine Gefühle verbergen und tun, als wäre ich völlig Herr der Lage und wüsste genau, was vorging. Dann würde sich das Pferd unter mir entspannen und glücklich sein.
Ich bekam ein falbes Pferd mit dunkler Mähne und Schwanz, es hieß Raku, und wir kamen gut miteinander aus. Das Bogenschießen lag mir gar nicht, aber im Schwertkampf machte ich wieder nach, was ich bei Lord Shigeru sah, und die Ergebnisse waren leidlich. Man gab mir ein eigenes Langschwert, und ich trug es in der Schärpe meiner neuen Kleidung wie alle Krieger. Doch trotz des Schwerts und der Kleidung wusste ich, dass ich nur eine Kriegerimitation war.
So vergingen die Wochen. Der Haushalt fand sich damit ab, dass Lord Otori mich adoptieren wollte, und nach und nach veränderte sich die Haltung zu mir. Die Dienstboten neckten mich so oft, wie sie mich tadelten. Zwischen Lernen und Üben hatte ich wenig Freizeit und sollte nicht allein weggehen, aber mir lag immer noch daran, ruhelos umherzustreifen, und wann immer es möglich war, stahl ich mich davon und erkundete die Stadt Hagi. Ich ging gern zum Hafen hinunter, wo das Schloss im Westen und der alte Vulkankrater im Osten die Bucht wie eine Tasse in ihrer beider Hände hielten.
Dort sah ich hinaus aufs Meer, dachte an all die sagenhaften Länder jenseits des Horizonts und beneidete die Fischer und die Seeleute.
Nach einem Boot schaute ich immer aus. Ein Junge meines Alters arbeitete darauf. Ich wusste, dass er Terada Fumio hieß. Sein Vater stammte aus einer Kriegerfamilie von niedrigem Rang und hatte sich lieber Handel und Fischfang zugewandt, als den Hungertod zu sterben. Chiyo wusste alles über die Familie und von ihr bekam ich zuerst diese Auskunft. Ich bewunderte Fumio ungeheuer. Er war tatsächlich auf dem Festland gewesen. Er kannte das Meer und die Flüsse in allen Situationen und Stimmungen. Damals konnte ich noch nicht einmal schwimmen. Zuerst nickten wir einander nur zu, doch im Lauf der Wochen wurden wir Freunde. Ich ging an Bord, und wir saßen zusammen und aßen Dattelpflaumen, spuckten die Kerne ins Wasser und redeten, worüber Jungen reden. Früher oder später kamen wir auf die Otorilords zu sprechen. Die Terada hassten sie wegen ihrer Arroganz und ihrer Habgier. Sie litten unter den ständig steigenden Steuern, die das Schloss ihnen aufbürdete, und den Handelsbeschränkungen. Wenn wir über diese Dinge redeten, dann flüsternd auf der Seeseite des Boots, denn das Schloss, sagte man, hatte überall Spione.
Nach einem dieser Ausflüge lief ich eines Spätnachmittags nach Hause. Ichiro war weggerufen worden, um mit einem Händler abzurechnen. Ich hatte zehn Minuten lang gewartet, dann beschlossen, er würde nicht zurückkommen, und mich weggestohlen. Es war um die Mitte des zehnten Monats. Die Luft war kühl und roch nach brennendem Reisstroh. Der Rauch hing über den Feldern zwischen Fluss und Berg und tönte die Landschaft silbern und golden. Fumio hatte mir das Schwimmen beigebracht, mein Haar war nass und ließ mich ein wenig frösteln. Ich dachte an heißes Wasser und überlegte, ob ich von Chiyo vor der Abendmahlzeit etwas zu essen bekommen könnte und ob Ichiro so schlecht gelaunt sein würde, dass er mich schlug. Zugleich horchte ich wie immer auf den Moment, in dem ich das charakteristische Lied des Hauses von der Straße vernahm.
Ich glaubte etwas anderes zu hören, deshalb blieb ich stehen und schaute zweimal auf die Mauerecke vor unserem Tor. Ich nahm nicht an, dass dort jemand war, aber fast im selben Augenblick sah ich einen Mann, der im Schatten des Ziegeldachs hockte.
Ich war nur ein paar
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