Das Schwert in Der Stille
ihrer freudigen Überraschung saß ihr Vater auf dem Ehrenplatz neben Lord Noguchi.
Als sie sich bis zum Boden verbeugte, sah sie die Freude auf seinem Gesicht. Sie war stolz, dass er sie jetzt in einer achtbareren Position sah. Sie schwor sich, nie etwas zu tun, was ihm Sorge oder Schande bereiten könnte.
Als ihr gesagt wurde, sie solle sich aufsetzen, schaute sie ihn verstohlen an. Sein Haar war dünner und grauer geworden, sein Gesicht faltiger. Sie war gespannt auf Neuigkeiten von ihrer Mutter und den Schwestern; hoffentlich wurde ihr ein Zusammensein mit ihm allein gestattet.
»Lady Shirakawa«, begann Lord Noguchi, »wir haben einen Heiratsantrag für Sie erhalten, und Ihr Vater ist gekommen, um seine Zustimmung zu geben.«
Kaede verbeugte sich erneut tief und murmelte: »Lord Noguchi.«
»Es ist eine große Ehre für Sie. Es wird das Bündnis zwischen den Tohan und den Otori besiegeln und drei alte Familien vereinen. Lord Iida wird selbst zu Ihrer Hochzeit kommen. Er will sogar, dass sie in Inuyama stattfindet. Weil Ihre Mutter nicht gesund ist, wird eine Verwandte Ihrer Familie, Lady Maruyama, sie nach Tsuwano begleiten. Ihr Ehemann soll Otori Shigeru sein, ein Neffe der Otorilords. Er und sein Gefolge werden in Tsuwano mit Ihnen zusammentreffen. Ich glaube nicht, dass irgendwelche weiteren Vorbereitungen getroffen werden müssen. Es ist alles sehr zufrieden stellend.«
Kaede hatte den Blick auf ihren Vater gerichtet, als sie hörte, dass ihre Mutter nicht gesund sei. Lord Noguchis folgende Worte nahm sie kaum auf. Später wurde ihr klar, dass bei den Vorbereitungen darauf geachtet worden war, ihm möglichst wenig Unannehmlichkeiten und Kosten zu verursachen: ein paar Gewänder für Reise und Hochzeit, vielleicht ein Dienstmädchen zur Begleitung. Lord Noguchi war tatsächlich bei der ganzen Sache gut weggekommen.
Jetzt machte er Witze über den toten Wachtposten. Kaede stieg das Blut in den Kopf. Ihr Vater schlug die Augen nieder.
Ich bin froh, dass er meinetwegen einen Mann verloren hat, dachte sie heftig. Soll er noch hundert weitere verlieren!
Ihr Vater musste am nächsten Tag nach Hause zurück, die Krankheit seiner Frau erlaubte keinen längeren Aufenthalt. In seiner umgänglichen Stimmung ermunterte ihn Lord Noguchi, Zeit mit seiner Tochter zu verbringen. Kaede führte ihren Vater in das kleine Zimmer, aus dem man den Garten überblickte. Die Luft war warm und schwer von den Düften des Frühlings. Eine Grasmücke sang in der Kiefer. Junko servierte ihnen Tee. Ihre Höflichkeit und Aufmerksamkeit hoben die Stimmung des Vaters.
»Ich bin froh, dass du hier eine Freundin hast, Kaede«, murmelte er.
»Was gibt es Neues über meine Mutter?«, fragte sie besorgt.
»Ich wollte, es würde ihr besser gehen. Ich fürchte, die Regenzeit wird sie noch mehr schwächen. Aber diese Heirat hat sie aufgemuntert. Die Otori sind eine hervorragende Familie, und Lord Shigeru scheint ein feiner Mann zu sein. Er hat einen guten Ruf, ist beliebt und genießt Respekt. Es ist alles, was wir für dich erhoffen konnten - sogar mehr, als wir erhoffen konnten.«
»Dann bin ich glücklich damit.« Sie log, weil sie ihm Freude machen wollte.
Er schaute hinaus auf die Kirschblüten, mit denen jeder Baum beladen war und in seiner eigenen Schönheit schwelgte. »Kaede, die Sache mit dem toten Wachtposten…«
»Es war nicht meine Schuld«, sagte sie hastig. »Hauptmann Arai hat es getan, um mich zu beschützen. Der Tote war allein schuld daran.«
Ihr Vater seufzte. »Sie sagen, dass du Männern gefährlich bist - dass Lord Otori sich in Acht nehmen sollte. Nichts darf geschehen, um diese Hochzeit zu vereiteln. Verstehst du mich, Kaede? Wenn sie nicht stattfindet - wenn dir die Schuld zugeschrieben werden kann -, sind wir alle so gut wie tot.«
Kaede verneigte sich, das Herz war ihr schwer. Ihr Vater kam ihr wie ein Fremder vor.
»Es war eine Belastung für dich, in all diesen Jahren für die Sicherheit unserer Familie verantwortlich zu sein. Wenn ich noch einmal wählen könnte, würde ich die Dinge anders regeln. Wenn ich an der Schlacht von Yaegahara teilgenommen hätte, nicht abgewartet hätte, wer siegen würde, sondern von Anfang an Iida unterstützt hätte, dann vielleicht… Aber das alles ist jetzt vorbei und man kann es nicht mehr ändern. Auf seine Art hat Lord Noguchi seinen Teil des Abkommens erfüllt. Du lebst; dir steht eine gute Heirat bevor. Ich weiß, dass du uns jetzt nicht enttäuschen
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