Das Schwert in Der Stille
nie. An der Tür wuchs eine Kamelie mit einem Zwillingsstamm; vielleicht lag es an diesem Symbol der ehelichen Liebe, dass alle anfingen, darüber zu reden, wie wünschenswert eine Heirat wäre. Besonders Ichiro drängte den Lord, sich auf die Suche nach einer neuen Frau zu machen. »Der Tod Ihrer Mutter und der von Takeshi haben das Warten eine Zeit lang entschuldigt. Aber jetzt sind Sie seit fast zehn Jahren unverheiratet und haben keine Kinder. Das ist unerhört!«
Die Dienstboten klatschten darüber und vergaßen, dass ich sie aus jedem Teil des Hauses deutlich hören konnte. Die allgemeine Ansicht unter ihnen kam tatsächlich der Wahrheit nahe, obwohl sie das eigentlich selbst nicht glaubten. Sie fanden, dass Lord Shigeru in irgendeine unpassende oder unerreichbare Frau verliebt sein müsse. Gewiss haben sie sich gegenseitig Treue geschworen, seufzten die Mädchen, weil zu ihrem Bedauern keine von ihnen je vom Lord eingeladen worden war, sein Bett zu teilen. Die älteren und entsprechend realistischeren Frauen wiesen darauf hin, dass so etwas in Liedern vorkommen mochte, im alltäglichen Leben der Kriegerklasse aber keine Bedeutung habe. »Vielleicht zieht er Jungen vor«, entgegnete Haruka, das frechste Mädchen, und fügte mit einem Kicheranfall hinzu: »Fragt Takeo!« Worauf Chiyo erklärte, Jungen vorzuziehen sei eine Sache und Ehe eine andere. Die beiden hätten nichts miteinander zu tun.
Lord Shigeru wich allen diesen Fragen um eine Heirat aus und sagte, ihn beschäftige mehr der Verlauf meiner Adoption. Seit Monaten hatte der Clan nichts von sich hören lassen; es hieß lediglich, darüber werde noch beraten. Die Otori mussten sich um dringendere Angelegenheiten kümmern. Iida hatte seinen Sommerfeldzug im Osten begonnen, und ein Lehnsgut nach dem anderen schloss sich entweder den Tohan an oder wurde erobert und zerstört. Bald würde Iida sich wieder dem Mittleren Land zuwenden. Die Otori hatten sich an den Frieden gewöhnt. Lord Shigerus Onkel wollten den Tohan nicht entgegentreten und das Lehnsgut nicht wieder in einen Krieg stürzen. Doch die meisten Angehörigen des Clans hassten den Gedanken, sich den Tohan zu unterwerfen.
In Hagi jagten sich die Gerüchte, die Spannung nahm zu. Kenji war beunruhigt. Er beobachtete mich die ganze Zeit, und diese ständige Überwachung machte mich reizbar.
»Jede Woche sind mehr Tohanspione in der Stadt«, sagte er. »Früher oder später wird einer von ihnen Takeo erkennen. Lass mich ihn wegbringen.«
»Sobald er rechtmäßig adoptiert ist und unter dem Schutz des Clans steht, wird Iida es sich gut überlegen, ob er ihn anzurühren wagt«, entgegnete Lord Shigeru.
»Ich glaube, du unterschätzt ihn. Er wird alles wagen.«
»Vielleicht im Osten. Aber nicht im Mittleren Land.«
Sie stritten oft darüber. Kenji bat den Lord inständig, mit mir weggehen zu dürfen. Lord Shigeru wich ihm aus; er weigerte sich, die Gefahr ernst zu nehmen, und bestand darauf, dass ich in Hagi sicherer sei als sonst wo, sobald ich adoptiert wäre.
Ich ließ mich von Kenjis Stimmung anstecken. Die ganze Zeit war ich auf der Hut, immer angespannt, immer beobachtend. Frieden fand ich nur, wenn ich damit beschäftigt war, neue Fähigkeiten zu lernen. Ich wurde davon besessen, meine Talente zu vervollkommnen.
Endlich, am Ende des siebten Monats, kam die Nachricht: Lord Shigeru sollte mich am nächsten Tag ins Schloss bringen, wo seine Onkel mich empfangen und eine Entscheidung treffen würden.
Chiyo schrubbte mich, wusch und schnitt mir das Haar und brachte Kleidung, die neu, aber in gedeckten Farben gehalten war.
Ichiro wiederholte immer wieder alle Anstandsregeln und Höflichkeitsformeln, die Sprache, die ich gebrauchen sollte, die korrekte Tiefe der Verbeugungen. »Mach uns keine Schande«, zischte er mir zu, als wir gingen. »Nach allem, was er für dich getan hat, darfst du Lord Shigeru nicht enttäuschen.«
Kenji begleitete uns nicht, doch er wollte uns bis zum Schlosstor folgen. »Halte die Ohren offen«, sagte er zu mir - als ob ich etwas anderes hätte tun können.
Ich saß auf Raku, dem falben Pferd mit schwarzer Mähne und Schwanz. Lord Shigeru ritt mir auf seinem schwarzen Pferd Kyu voraus, fünf oder sechs Gefolgsleute begleiteten ihn. Als wir uns dem Schloss näherten, ergriff mich Panik. Die Stein gewordene Macht, mit der es vor uns aufragte, die Stadt völlig beherrschte, entmutigte mich. Was wollte ich hier mit der Vorspiegelung, ein Lord, ein Krieger zu sein? Die
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