Das Schwert in Der Stille
Prüfstein für eine Regierung ist die Zufriedenheit der Menschen. Wenn der Herrscher gerecht ist, genießt das Land den Segen des Himmels. In den Tohanländern verhungern die Menschen, werden von Schulden geplagt, von Iidas Beamten ständig schikaniert. Die Verborgenen werden gefoltert und ermordet - gekreuzigt, kopfunter über Abfallgruben aufgehängt, in Körbe an Außenmauern gesteckt, damit die Krähen sie fressen. Bauern müssen ihre neugeborenen Kinder aussetzen und ihre Töchter verkaufen, weil sie nichts haben, um sie zu ernähren.«
Er nahm ein Stückchen Fisch und aß es bedächtig, mit ausdruckslosem Gesicht.
»Iida wurde der mächtigste Herrscher in den drei Ländern. Macht bringt ihre eigene Gesetzmäßigkeit mit sich. Die meisten Leute glauben, dass jeder Lord das Recht hat, in seinem eigenen Clan und seinem eigenen Land zu tun, was er will. Auch ich wurde in dem Glauben daran erzogen. Aber Iida bedrohte mein Land, das Land meines Vaters, und ich wollte nicht, dass es ihm kampflos überlassen wurde.
Das hat mich viele Jahre lang beschäftigt. Ich schlüpfte in eine Rolle, die mir nur teilweise entspricht. Sie nennen mich Shigeru, den Bauern. Ich kümmerte mich darum, mein Land zu verbessern, und redete von nichts als den Jahreszeiten, von Ernten und Bewässerung. Diese Dinge interessieren mich sowieso, aber sie dienten mir auch als Ausrede dafür, durch das ganze Lehnsgut zu reisen und viel zu erfahren, was ich sonst nicht gewusst hätte.
Ich mied die Tohanländer, jährliche Besuche in Terayama ausgenommen, wo mein Vater und viele meiner Vorfahren begraben sind. Der Tempel wurde den Tohan überlassen, genau wie die Stadt Yamagata nach der Schlacht von Yaegahara. Aber dann kam ich persönlich mit der Grausamkeit der Tohan in Berührung, und meine Geduld ging langsam zu Ende.
Im vergangenen Jahr erkrankte meine Mutter gleich nach dem Fest des Webersterns an einem Fieber. Es war besonders bösartig und sie starb innerhalb einer Woche. Drei weitere Angehörige des Haushalts starben, unter ihnen ihre Kammerdienerin. Ich wurde ebenfalls krank. Vier Wochen schwebte ich zwischen Leben und Tod, war im Delirium, wusste von nichts. Man rechnete nicht mit meiner Genesung, und als ich mich erholte, wäre ich lieber tot gewesen, denn da erfuhr ich, dass mein Bruder in der ersten Woche meiner Krankheit ermordet worden war.
Es war im Hochsommer. Man hatte ihn bereits begraben. Niemand konnte mir sagen, was geschehen war. Es schien keine Zeugen zu geben. Er hatte seit kurzem eine neue Geliebte gehabt, aber das Mädchen war ebenfalls verschwunden. Wir hörten nur, dass ein Tsuwanohändler seine Leiche in den Straßen von Yamagata erkannt und für das Begräbnis in Terayama gesorgt hatte. Verzweifelt schrieb ich an Muto Kenji, den ich seit Yaegahara kannte, ich hoffte, der Stamm habe irgendwelche Erkenntnisse. Zwei Wochen danach kam spät in der Nacht ein Mann in mein Haus; er hatte einen Brief mit Kenjis Siegel. Ich hätte ihn für einen Stallknecht oder einen Infanteristen gehalten; er vertraute mir an, dass er Kuroda hieß, also einen Stammesnamen trug.
Das Mädchen, in das sich Takeshi verliebt hatte, war eine Sängerin, und sie waren gemeinsam zum Sternenfest nach Tsuwano gegangen. Das wusste ich bereits, denn als meine Mutter krank geworden war, hatte ich ihm die Nachricht geschickt, er solle nicht nach Hagi zurückkehren. Ich wollte, dass er in Tsuwano bliebe, aber das Mädchen wollte anscheinend weiter nach Yamagata, wo es Verwandte hatte, und Takeshi ging mit ihm. Kuroda erzählte mir, dass es in einer Herberge Streit gegeben habe - die Otori und ich seien beleidigt worden. Ein Kampf brach aus. Takeshi war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer. Er tötete zwei Männer und verwundete mehrere andere, die davonliefen. Dann ging er zurück zu den Verwandten des Mädchens. Tohanmänner kamen mitten in der Nacht zurück und zündeten das Haus an. Alle darin verbrannten oder wurden erdolcht, als sie versuchten, den Flammen zu entfliehen.«
Ich schloss kurz die Augen; mir war, als könne ich ihre Schreie hören.
»Ja, es war wie in Mino«, sagte Shigeru bitter. »Die Tohan behaupteten, die Familie gehöre zu den Verborgenen, obwohl es so gut wie sicher ist, dass das nicht stimmt. Mein Bruder trug Reisekleidung. Niemand wusste, wer er war. Zwei Tage lang lag seine Leiche auf der Straße.«
Er seufzte tief. »Es hätte zu öffentlicher Empörung kommen sollen. Clans haben sich wegen weniger bekriegt. Wenigstens
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