Das Schwert in Der Stille
hätte Iida sich entschuldigen, seine Männer bestrafen und eine Art Wiedergutmachung leisten sollen. Aber Kuroda berichtete mir, dass Iida auf die Nachricht hin nur gesagt habe: ›Ein Otori-Emporkömmling weniger, über den man sich ärgern muss. Zu schade, dass es nicht der Bruder war.‹ Selbst die Täter wunderten sich, sagte Kuroda. Sie hatten nicht gewusst, wer Takeshi war. Als sie es erfuhren, erwartete sie die Todesstrafe. Aber Iida tat nichts und meine Onkel auch nicht. Bei einem vertraulichen Treffen erzählte ich ihnen, was Kuroda mir berichtet hatte. Sie zogen es vor, mir nicht zu glauben. Sie erinnerten mich an Takeshis unbesonnenes Verhalten in der Vergangenheit, die Kämpfe, in die er verwickelt gewesen war, die Wagnisse, die er auf sich genommen hatte. Sie verboten mir, öffentlich über die Sache zu reden, erinnerten mich daran, dass ich immer noch nicht gesund war, und schlugen vor, ich solle eine Zeit lang weggehen, in die östlichen Berge zu den heißen Quellen reisen, in den Schreinen beten. Ich beschloss wegzugehen, aber nicht mit der Absicht, ihren Vorschlägen zu folgen.«
»Sie kamen, um mich in Mino zu finden«, flüsterte ich.
Er antwortete mir nicht sofort. Draußen war es jetzt dunkel, aber vom Himmel kam ein schwacher Schein. Die Wolken teilten sich, und immer wieder tauchte der Mond zwischen ihnen auf. Zum ersten Mal sah ich die Umrisse der Berge und der Kiefern schwarz gegen den Nachthimmel.
»Sag den Dienstboten, sie sollen Licht bringen«, ordnete Shigeru an, und ich ging an die Tür und rief die Mädchen. Sie kamen und räumten die Tabletts weg, brachten Tee und zündeten die Lampen in den Ständern an. Als sie wieder gegangen waren, tranken wir schweigend den Tee. Die Schalen waren dunkelblau glasiert. Shigeru drehte die seine in der Hand und las dann auf der Unterseite den Namen des Töpfers. »Ihr Anblick ist für mich nicht so wohltuend wie die Erdfarben von Hagi«, sagte er, »aber dennoch wunderschön.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«, sagte ich und schwieg dann wieder, weil ich mir nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte.
»Nur zu.«
»Sie lassen Leute glauben, wir hätten uns zufällig getroffen, aber ich hatte das Gefühl, Sie wussten, wo Sie mich finden würden. Sie haben mich gesucht.«
Er nickte. »Ja, ich wusste, wer du bist, sobald ich dich auf dem Pfad sah. Ich war eigens nach Mino gekommen, um dich zu finden.«
»Weil mein Vater ein Attentäter war?«
»Das war der Hauptgrund, aber nicht der einzige.«
Ich hatte das Gefühl, es sei nicht genug Luft im Zimmer für meinen nächsten Atemzug. Die anderen Gründe, die Lord Shigeru gehabt haben mochte, kümmerten mich wenig. Ich musste mich auf den Hauptgrund konzentrieren.
»Aber woher wussten Sie Bescheid, wenn ich es selbst nicht wusste - wenn der Stamm es nicht wusste?«
Er sprach noch leiser als zuvor. »Seit Yaegahara habe ich viel dazugelernt. Damals war ich nur ein Junge, ein typischer Kriegersohn ohne Gedanken an etwas anderes als das Schwert und die Familienehre. Dort traf ich Muto Kenji, und in den Monaten danach öffnete er mir die Augen für die Macht, die jenseits der Gesetze der Kriegerklasse liegt. Ich erfuhr einiges über das Verbindungsnetz des Stamms und sah, wie sie die Kriegsherren und die Clans kontrollierten. Kenji wurde ein Freund, und durch ihn kam ich mit vielen anderen Stammesmitgliedern zusammen. Sie interessierten mich. Ich weiß wahrscheinlich mehr über sie als jeder andere Außenstehende. Aber ich habe dieses Wissen für mich behalten und nie jemandem etwas davon gesagt. Ichiro weiß ein wenig und du jetzt auch.«
Ich dachte an den Schnabel des Reihers, wie er ins Wasser stößt.
»Kenji irrte sich am ersten Abend, als er nach Hagi kam. Ich wusste sehr gut, wen ich in mein Haus brachte. Ich hatte jedoch nicht erkannt, dass deine Talente so groß sein würden.« Er lächelte mir zu; das aufrichtige Lächeln veränderte wieder sein Gesicht. »Das war eine unerwartete Belohnung.«
Jetzt schien ich die Fähigkeit zu sprechen wieder verloren zu haben. Ich wusste, dass wir das Thema anschneiden mussten - welche Absichten Shigeru damit verfolgte, dass er mich ausfindig gemacht und mein Leben gerettet hatte. Aber ich brachte es nicht über mich, so unumwunden von diesen Dingen zu sprechen. Ich spürte, wie das Dunkle meiner Stammesnatur von mir Besitz ergriff. Ich sagte nichts und wartete.
Shigeru sagte: »Ich wusste, dass ich keine Ruhe unter dem Himmel finden würde,
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