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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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besonders. Ich wusste, dass ich sie zuerst hören würde, und außerdem konnte ich mich unsichtbar machen und mein zweites Ich einsetzen. Bis ich das Ende der Straße erreichte und das Wasser im Burggraben unter dem Mondlicht sah, dachte ich fast gar nicht mehr nach und war nur tief befriedigt darüber, dass ich ein Kikuta war und tat, wozu ich geboren wurde. Nur der Stamm kennt dieses Gefühl.
    Auf der Stadtseite des Burggrabens stand eine Gruppe von Weiden; das schwere Sommerlaub senkte sich zum Wasser. Zur Verteidigung hätten die Bäume gefällt werden müssen; vielleicht liebten einige Schlossbewohner, die Frau des Lords oder seine Mutter, deren Schönheit. Im Mondlicht sahen die Aste aus, als wären sie mit Eis überzogen. Es ging überhaupt kein Wind. Ich schlüpfte zwischen die Bäume, kauerte mich zusammen und betrachtete lange das Schloss.
    Es war größer als die Schlösser in Tsuwano und Hagi, doch die Bauweise war ähnlich. Ich sah den schwachen Umriss der Körbe vor den weißen Mauern des Hauptturms hinter dem zweiten Südtor. Ich musste durch den Burggraben schwimmen, die Steinmauer erklimmen, über das erste Tor und den südlichen Burghof kommen, das zweite Tor und den Hauptturm ersteigen und von oben zu den Körben hinunterklettern.
    Als ich Schritte hörte, verschmolz ich mit der Erde. Eine Wachmannschaft näherte sich der Brücke. Eine andere Patrouille kam vom Schloss, und die Männer wechselten einige Worte.
    »Irgendwelche Schwierigkeiten?«
    »Nur die üblichen Sperrstundensünder.«
    »Scheußlicher Gestank!«
    »Morgen wird’s noch schlimmer. Heißer.«
    Die eine Gruppe machte sich auf den Weg in die Stadt, die andere ging über die Brücke und die Treppe hinauf zum Tor. Ich hörte, wie sie angerufen wurde und antwortete. Das Tor quietschte, als es entriegelt und geöffnet wurde. Dann kam der Knall, mit dem es ins Schloss fiel, und die Schritte verklangen.
    In meinem Versteck unter den Weiden roch ich das stehende Wasser des Grabens und darunter einen anderen Gestank: von menschlicher Verwesung, von lebenden Körpern, die langsam verfaulten.
    Am Wasserrand standen blühende Gräser und ein paar späte Schwertlilien. Frösche quakten und Grillen zirpten. Die warme Nachtluft streichelte mein Gesicht. Zwei Schwäne, unglaublich weiß, glitten in den Pfad des Mondlichts.
    Ich füllte die Lungen mit Luft, schlüpfte ins Wasser und schwamm nahe dem Grund ein Stück weit stromabwärts, so dass ich im Schatten der Brücke wieder auftauchte. Die großen Steine des Burggrabens boten den Füßen Halt; meine Hauptsorge war hier, dass ich vor dem hellen Stein gesehen werden könnte. Länger als zwei Minuten konnte ich mich nicht unsichtbar machen. Die Zeit, die zuvor so langsam vergangen war, beschleunigte sich jetzt. Ich bewegte mich schnell, wie ein Affe kletterte ich die Mauer hinauf. Am ersten Tor hörte ich Stimmen, die Wachen kamen von ihrem Rundgang zurück. Ich presste mich an ein Abflussrohr, machte mich unsichtbar und nutzte das Geräusch ihrer Schritte, um unhörbar den Haken über den wuchtigen Mauervorsprung zu werfen.
    Ich schwang mich hinauf und lief auf dem Ziegeldach herum zum südlichen Burghof. Die Körbe mit den sterbenden Männern waren fast direkt über meinem Kopf. Einer rief immer wieder nach Wasser, einer stöhnte wortlos, und einer wiederholte den Namen des geheimen Gottes in einem schnellen Singsang, bei dem sich mir die Haare im Nacken sträubten. Der Vierte war ganz still. Der Geruch nach Blut, Urin und Kot war schrecklich. Ich versuchte meine Nasenlöcher davor zu schließen und meine Ohren vor den Geräuschen. Im Mondlicht schaute ich auf meine Hände.
    Ich musste das Wachhaus überqueren. Die Wachtposten darin waren zu hören, sie machten sich Tee und plauderten. Als der Kessel an der Eisenkette klirrte, kletterte ich mit Hilfe der Haken den Hauptturm hinauf zu der Brüstung, von der die Körbe hingen.
    Sie wurden von Seilen gehalten und schwebten etwa zwölf Meter über der Erde; jeder Korb war gerade groß genug für einen Mann, der mit gesenktem Kopf knien musste, die Arme auf dem Rücken gefesselt. Die Seile schienen stark genug, um mein Gewicht zu tragen, aber als ich eins von der Brüstung aus erprobte, schwankte der Korb, und der Mann darin schrie vor Angst so laut auf, dass es durch die Nacht gellte. Ich erstarrte. Er schluchzte minutenlang, dann flüsterte er wieder: »Wasser! Wasser!«
    Auf den Schrei folgte keine hörbare Reaktion bis auf Hundegebell in der

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