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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Lehrer mit Genuss Wein getrunken hatte. Er wirkte angetrunken, war aber viel weniger benebelt als Abe.
    »Obwohl die Weisen uns lehren, dass der Edle den Tod rächen kann - vielmehr soll«, sagte er hochgestochen und frömmelnd, »hatte ich nie Anlass zu einer so schwerwiegenden Tat. Andererseits lehrt der Erleuchtete seine Anhänger, davon abzusehen, einem empfindungsfähigen Geschöpf das Leben zu nehmen, weshalb ich mich nur von Gemüse ernähre.« Er trank mit Appetit und füllte seine Schale neu. »Glücklicherweise gehört auch Reiswein in diese Kategorie.«
    »Haben Sie keine Krieger in Hagi, dass Sie mit solchen Gefährten reisen?«, spottete Abe.
    »Ich bin auf dem Weg zu meiner Hochzeit«, antwortete Shigeru freundlich. »Sollte ich lieber auf einen Kampf vorbereitet sein?«
    »Ein Mann sollte immer auf einen Kampf vorbereitet sein«, entgegnete Abe, »besonders wenn seine Braut einen Ruf hat wie die Ihre. Den kennen Sie doch, oder?« Er schüttelte den massigen Kopf. »Es läuft auf das Gleiche hinaus, wie wenn man Kugelfisch isst. Ein Bissen könnte Sie töten. Erschreckt Sie das nicht?«
    »Sollte es?« Shigeru goss sich mehr Wein ein und trank.
    »Nun, sie ist bezaubernd, das gebe ich zu. Sie ist es wert!«
    »Lady Shirakawa wird keine Gefahr für mich sein«, sagte Shigeru und brachte Abe dazu, von seinen Heldentaten auf Iidas Feldzügen im Osten zu erzählen. Ich hörte mir Abes Prahlereien an und versuchte seine Schwächen zu erkennen. Ich hatte bereits beschlossen, ihn zu töten.

    Am nächsten Tag kamen wir nach Yamagata. Die Stadt war vom Unwetter schwer getroffen worden, es gab viele Tote und einen riesigen Ernteverlust. Yamagata, fast so groß wie Hagi, war die zweite Stadt im Otorilehen gewesen, bis der Ort den Tohan übergeben wurde. Das Schloss war wieder aufgebaut und einem von Iidas Vasallen überlassen worden. Doch die meisten Stadtbewohner betrachteten sich noch immer als Otori, und Lord Shigerus Anwesenheit war ein weiterer Grund für Unruhen. Abe hatte gehofft, vor dem Totenfest in Inuyama zu sein, und ärgerte sich darüber, in Yamagata festzusitzen. Bis die Feierlichkeiten vorüber waren, galten Reisen als unheilvoll, wenn sie nicht zu Tempeln und Schreinen unternommen wurden.
    Shigeru war zum ersten Mal an Takeshis Sterbeort und versank in Trauer. »Bei jedem Tohan, den ich sehe, frage ich mich: War das einer von ihnen?«, vertraute er mir spät am Abend an. »Und ich stelle mir vor, dass sie sich selbst fragen, warum sie noch nicht bestraft worden sind, und mich verachten, weil ich sie am Leben lasse. Ich würde sie am liebsten alle umbringen!«
    Nie hatte ich gehört, dass er etwas anderes als Geduld äußerte. »Dann kämen wir nie zu Iida«, antwortete ich. »Jede Beleidigung, die uns die Tohan zugefügt haben, wird dann gerächt werden.«
    »Dein gelehrtes Ich wird sehr weise, Takeo.« Sein Ton klang jetzt etwas unbeschwerter. »Weise und selbstbeherrscht.«
    Am nächsten Tag ging er mit Abe zum Schloss, wo ihn der örtliche Herrscher empfing. Trauriger und erregter denn je kam er zurück. »Die Tohan versuchen Unruhen zu vermeiden, indem sie die Verborgenen für die Unwetterschäden verantwortlich machen«, berichtete er mir kurz. »Eine Hand voll unglücklicher Kaufleute und Bauern wurde denunziert und festgenommen. Einige sind unter Folter gestorben. Vier hängen an den Schlossmauern. Seit drei Tagen sind sie dort.«
    Ich bekam eine Gänsehaut und flüsterte: »Leben sie noch?«
    »Sie halten es vielleicht noch eine Woche oder länger aus. Inzwischen fressen die Krähen ihr lebendiges Fleisch.«
    Sobald ich wusste, dass sie dort waren, hörte ich sie unablässig: manchmal ein leises Stöhnen, dann wieder ein dünnes Schreien, bei Tageslicht begleitet vom ständigen Krächzen und Flattern der Krähen. Ich hörte es die ganze Nacht und den folgenden Tag, und dann war die erste Nacht des Totenfestes gekommen.
    Die Tohan verhängten eine Ausgangssperre über ihre Städte, doch das Fest folgte einer älteren Tradition und die Sperre wurde bis Mitternacht aufgehoben. Als es dunkel wurde, verließen wir die Herberge und schlossen uns den vielen Gruppen an, die zuerst zu den Tempeln und dann zum Fluss gingen. Alle Steinlaternen an den Zugängen zu den Schreinen brannten, und auf den Grabsteinen standen Kerzen, deren flackerndes Licht seltsame Schatten warf, die Körper hager und Gesichter totenkopfähnlich aussehen ließen. Die Menge bewegte sich gleichmäßig und still, als wären

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