Das Schwert in Der Stille
es Lord Otori gut?«, fragte sie höflich.
»Ja, und er wartet mit ganzem Herzen auf Sie.«
»Sag mir die Wahrheit«, flüsterte Kaede. Sie betrachtete Shizuka und sah das Zögern in ihren Augen. »Lord Takeo - ist er tot?«
»Wir wissen es nicht.« Shizuka seufzte tief. »Ich muss es Ihnen sagen. Er ist mit Kenji verschwunden. Lord Otori glaubt, dass der Stamm ihn mitgenommen hat.«
»Was bedeutet das?« Kaede spürte, wie der Tee, den sie zuvor getrunken hatte, in ihrem Magen rumorte, und kurz glaubte sie sich übergeben zu müssen.
»Lassen Sie uns im Garten spazieren gehen, solange es noch kühl ist«, sagte Shizuka ruhig.
Kaede stand auf. Sie hatte Angst, in Ohnmacht zu fallen. Auf ihrer Stirn bildeten sich kalte, klebrige Schweißtropfen. Shizuka hielt sie am Ellbogen, führte sie auf die Veranda, kniete sich vor sie und half ihr in die Sandalen.
Während sie langsam über den Pfad zwischen Bäumen und Büschen gingen, überdeckte das Wasserrauschen vom Fluss her ihre Stimmen. Shizuka flüsterte Kaede schnell und dringlich ins Ohr.
»Vergangene Nacht sollte es einen Anschlag auf Iidas Leben geben. Arai ist mit einer großen Armee keine dreißig Meilen entfernt. Die Kriegermönche in Terayama sind bereit, die Stadt Yamagata einzunehmen. Die Tohan könnten besiegt werden.«
»Was hat das mit Lord Takeo zu tun?«
»Er sollte der Attentäter sein und vergangene Nacht ins Schloss einsteigen. Aber der Stamm hat ihn entführt.«
»Takeo? Der Attentäter?« Am liebsten hätte Kaede über einen so unwahrscheinlichen Gedanken gelacht. Dann erinnerte sie sich an die Dunkelheit, in die er sich zurückgezogen hatte, daran, wie er immer seine Geschicklichkeit versteckt hatte. Ihr wurde klar, dass sie kaum wusste, was unter der Oberfläche lag, und doch hatte sie immer gewusst, dass da mehr war. Sie holte tief Atem und versuchte sich zu beruhigen.
»Wer ist der Stamm?«
»Takeos Vater gehörte dem Stamm an, und er selbst wurde mit ungewöhnlichen Talenten geboren.«
»Wie deine«, sagte Kaede ausdruckslos. »Und die deines Onkels.«
»Viel bedeutendere, als jeder von uns hat«, sagte Shizuka. »Aber Sie haben Recht. Wir gehören ebenfalls zum Stamm.«
»Du bist eine Spionin? Eine Attentäterin? Gibst du deshalb vor, meine Dienerin zu sein?«
»Ich gebe nicht vor, Ihre Freundin zu sein«, antwortete Shizuka rasch. »Ich habe Ihnen schon zuvor gesagt, dass Sie mir vertrauen können. Arai selbst hat Sie mir anvertraut.«
»Wie kann ich das glauben, wenn ich so viele Lügen gehört habe?«, fragte Kaede; sie spürte, wie ihre Augenwinkel heiß wurden.
»Ich sage Ihnen jetzt die Wahrheit«, erklärte Shizuka ernst.
Kaede spürte, wie das Schwächegefühl des Schocks sie überkam, sich dann ein wenig legte und sie schließlich ruhig und klar wurde. »Meine Heirat mit Lord Otori - wurde sie arrangiert, damit er einen Grund hätte, nach Inuyama zu kommen?«
»Nicht von ihm. Für ihn wurde die Hochzeit zu einer Bedingung für Takeos Adoption gemacht. Doch sobald er zugestimmt hatte, erkannte er, dass er so einen Grund hatte, Takeo in die Festung der Tohan zu bringen.« Shizuka machte eine Pause, dann sagte sie sehr leise: »Iida und die Otorilords nehmen die Hochzeit mit Ihnen möglicherweise als Vorwand für Shigerus Tod. Auch deshalb wurde ich zu Ihnen geschickt, um Sie beide zu schützen.«
»Mein Ruf wird immer nützlich sein«, sagte Kaede bitter. Jetzt war ihr nur zu sehr bewusst, welche Macht Männer über sie hatten und wie sie diese Macht rücksichtslos ausnutzten. Das Schwächegefühl kehrte zurück.
»Sie müssen sich eine Weile setzen«, sagte Shizuka. Die Büsche hatten einem offeneren Garten mit Blick auf den Schlossgraben und die Berge dahinter Platz gemacht. Ein Pavillon war über den Graben gebaut worden, der durch seine Lage jeden Hauch einer Brise auffing. Sie gingen über die Steine vorsichtig darauf zu. Kissen waren auf den Boden gelegt worden, und hier setzten sie sich. Das fließende Wasser vermittelte ein Gefühl der Kühle, und Eisvögel und Schwalben streiften mit plötzlichem Aufblitzen von Farben durch den Pavillon. In den Teichen dahinter hoben Lotusblumen ihre violettrosa Blüten, und einige tiefblaue Iris verschönten noch die Wasserkante; ihre Blätter hatten fast die gleiche Farbe wie die Kissen.
»Was heißt das, vom Stamm mitgenommen?«, fragte Kaede, ruhelos rieb sie mit den Fingern den Stoff ihres Sitzkissens.
»Die Familie, zu der Takeo gehört, die Kikuta, haben gedacht,
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