Das Schwert - Thriller
den Ausläufern der Muqattams lebten Gemeinschaften koptischer Christen, Ausgestoßene, die ein schweres Dasein als Kairos Müllsammler fristeten, die sogenannten Zabbalin. Sie zogen durch die Straßen der Stadt und füllten ihre Eselskarren mit Abfällen. Zurückgekehrt in ihre Dörfer an den Berghängen, verwandelten sie das, was Kairo ausgeschieden hatte, in Gold. Sie waren die Wiederverwerter par excellence; in ihren Höfen wurden die aufgetürmten Haufen gesichtet und gesiebt und das meiste schließlich einer neuen Verwendung zugeführt. Plastik sortierten und pressten sie zusammen. Die Handwerker in der Stadt falteten und drehten und schnitten daraus Sandalen, Körbe, Bestecke und tausend andere Artikel. Blechdosen wurden ausgespült und flachgedrückt, und irgendwoandersmachten geschickte Arbeiter daraus Kästen und Koffer und Autoteile und Fernsehantennen. Lumpen wurden zu Flickenteppichen. Der organische Rest kam den Schweinen am Dorfrand zugute, Schweinen, deren saftiges, aromatisches Fleisch sich bei den Kopten und Ausländern hoher Wertschätzung erfreute, wenn auch nicht bei der übrigen Bevölkerung.
Jack sog prüfend die Luft ein. Der Gestank war fast greifbar in diesem Dorf – einer trostlosen Siedlung namens Manschijat Nasr. Man konnte ihm nicht entrinnen, so wenig wie dem Summen der Millionen Fliegen.
»Du musst aufstehen«, sagte Dschamila. »Die Familie braucht ihr Haus. Ich habe sie gut bezahlt, aber die Kinder sind die ganze Nacht auf gewesen, und sie müssen jetzt ins Bett.«
»Ich fühle mich total zerschlagen.«
»So siehst du auch aus. Du brauchst eine Rasur und ein Bad.«
»Wie spät ist es?«
»Nach zehn. Du warst völlig übermüdet, deshalb habe ich dich schlafen lassen.«
»Wir müssen zum Bahnhof. Wir müssen das Schwert holen und es in ein sicheres Versteck bringen.«
»Zuerst essen wir. Unsere Verfolger haben wir vorerst abgehängt.«
Im Nebenraum war eine Frau Mitte vierzig damit beschäftigt, Eier zu braten. Die Kinder suchten draußen nach Verwertbarem in einem Abfallhaufen hinter der Hütte.
Sie setzten sich zum Essen auf eine lange Bank an der Wand; die Teller hielten sie auf dem Schoß.
»Meine Mutter ist früher oft hier gewesen«, erzählte Dschamila. »Sie war Sozialarbeiterin. Es gab ein Projekt, für die Kinder Schulunterricht zu organisieren, aber das ist im Sande verlaufen.«
»Kommt sie immer noch her?«, fragte Jack, den Mund voll Ei.
»Sie ist gestorben«, antwortete Dschamila, und in ihrer Stimme lag Traurigkeit. »Vor fünfzehn Jahren. Ich war vierzehn. Ich habe heute ein paar Leute nach ihr gefragt, aber niemand erinnert sich an sie. Sozialarbeiter kommen und gehen, und ändern tut sich nichts.«
Jack wechselte das Thema. »Wir dürfen hier nicht länger bleiben als unbedingt nötig. Unsere Anwesenheit wird sich herumsprechen. Früher oder später hört jemand, dass es eine Belohnung gibt für den, der Mohammed al-Masris Leute zu uns führen kann.«
»In ein paar Minuten brechen wir auf. Wir müssen einen sicheren Ort finden, eine Basis, von der aus wir operieren können. Iss auf, dann können wir los.«
»Wie kommen wir zum Bahnhof?«
»Mit dem Auto.«
Er schüttelte den Kopf und trank einen Schluck von dem Kaffee, der schmeckte, als wäre es der dritte oder vierte Aufguss.
»Nicht gut. Sie werden überall danach suchen.
Dschamila grinste.
»Aber vergeblich. Es hat längst neue Nummernschilder – ich habe einen ganzen Stapel davon vor der Tür liegen sehen. Außerdem hat unser Gastgeber dem Wagen rote Zierstreifen verpasst. Willkommen in der Kriminellenszene, Jack. Du bist jetzt der offizielle Besitzer eines unkenntlich gemachten gestohlenen Automobils.«
27
Ein arisches Kind
Mohammad al-Masris Bunker
Schubra
Kairo
Später Vormittag
Sie durfte sich um das Kind kümmern, wann immer man ihr erlaubte, bei der Arbeit eine Pause zu machen, was selten genug vorkam. Ihre Pflichten nahmen sie den größten Teil des Tages in Anspruch, auch wenn letzthin der Druck ein wenig nachgelassen hatte, weil das Projekt sich langsam, aber sicher der Vollendung näherte.
Das kleine Mädchen war hübsch und so lieb, dachte Samiha. Trotz des Schrecklichen, das sie erlebt hatte, war es eine Freude, mit ihr zusammenzusein. Nach wie vor hielt sie ihre eigenen beiden Söhne für die wundervollsten Kinder auf der ganzen Welt, aber wäre ihr eine Tochter geschenkt worden, hätte sie sein sollen wie Naomi. Die Jungen waren eigensinnig, geprägt von dem Einfluss
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