Das Schwert - Thriller
dieses unterirdische Versteck finden? Aber sie lächelte tapfer und hielt den Mund an Naomis Ohr, damit kein heimlicher Lauscher hören konnte, was sie sagte.
»Ganz egal, wie schwer es ist. Wenn ich es schaffe, dass wir hier herauskommen, bringe ich dich geradewegs zu ihm.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, da flog die Tür auf und der Mann, den sie als al-Masris Bruder, Raschid, kannte, stürmte herein.
»Ich habe das Kind überall gesucht. Du weißt, dass es tagsüber nicht hier sein soll. Du verwöhnst den Bankert.«
Samiha hatte Angst vor ihm, fast mehr als vor seinem Bruder, trotzdem schlug sie einen kriegerischen Ton an.
»Sie tut doch nichts Böses. Sie hat mich besucht, weil wir zusammen einige Verse aus dem Koran lernen wollen. Was gibt es daran auszusetzen?«
Er antwortete nicht darauf, packte Naomis Handgelenk und zerrte sie zur Tür. Naomi stieß einen Schmerzensschrei aus.
»Hör auf! Du tust mir weh!«
Raschid schenkte ihr keine Beachtung. Er musterte Samiha mit einem verachtungsvollen Blick.
»Du vergeudest deine Zeit. Was soll ein christliches Balg mit dem Wort Gottes anfangen? Mein Bruder braucht sie. Dir rate ich, hierzubleiben und zu warten. Du siehst sie später wieder.«
Ohne ein weiteres Wort zog er Naomi auf den Gang hinaus und schlug krachend die Tür hinter sich zu.
28
Schlagzeilen
Bab al-Hadid/Bahnhof Ramses
12.04 Uhr
Die Wintersaison war in vollem Gange, und ungeachtet der Bomben lockten die jahreszeitlich bedingten Billigreisen Touristen aus Europa, Australien, Südafrika und den USA in Scharen nach Kairo. Im Ramses-Bahnhof bestiegen sie die Luxuszüge zu den Stränden von Alexandria im Norden oder den Sehenswürdigkeiten von Luxor und Assuan weit unten im Süden. Die Fahrpreise empfanden sie als Schnäppchen. Studenten und Rucksackreisende gingen noch einen Schritt weiter und zwängten sich in Dritte-Klasse-Waggons zu lebenden Hühnern, rotznasigen Kindern und Fellachen, die für einige Tage zurückkehrten in die Dörfer, die sie vor Jahren verlassen hatten, um in der großen Stadt ihr Glück zu suchen. Auf dem Querbahnsteig herrschte Betrieb wie in King’s Cross am frühen Freitagabend, nur stand man hier nicht geduldig in der Schlange, sondern Menschenknäuel wälzten sich schiebend und stoßend zu den Bahnsteigen. Im Bahnhof wie auch davor hingen mehr Orientierungsfähnchen denn je. Touristen suchten herdenweise nach den Logos ihres Reiseunternehmens in dem kunterbunten Geflatter.
Jack kaufte sich einen Orangensaft an einem Stand in Sichtweite der Schließfachanlage. Er und Dschamila hatten sich überlegt, dass die Terroristen logischerweise nach einem Paar Ausschau halten würden, deshalb hatten sie den Bahnhof getrennt und durch verschiedene Eingängebetreten. Dschamila hatte den Schlüssel. Sobald sie sicher sein konnten, dass die Luft rein war, sollte sie zu dem betreffenden Fach gehen, die Tasche mit dem Schwert und dem Brief an sich nehmen und den Bahnhof auf demselben Weg, den sie gekommen war, wieder verlassen. Seine Aufgabe bestand darin, sie die ganze Zeit über im Auge zu behalten, um ihr dann in unauffälligem Abstand zum Auto zu folgen. Seine Angreifer von letzter Nacht hatten zwei Handfeuerwaffen zurückgelassen, Walther P99, und diese steckten nun in Jacks und Dschamilas Hosenbund.
Er sah sie stehen bleiben und die Zugänge zu den Bahnsteigen mustern, um herauszufinden, ob jemand in der Menge ein ähnliches Verhalten an den Tag legte. Sie hatte ihm gesagt, der Gegner könnte an diesem Vormittag eine Heerschar von Spitzeln in Marsch gesetzt haben. Zwei Jahre lang hatte sie in Zusammenarbeit mit Simon die Aktivitäten dieser Gruppe beobachtet. Simon hatte speziell sie angeheuert, weil er an der Integrität einiger seiner MI6-Agenten zweifelte. Nach ihrer Darstellung war die Gruppe damals bereits sehr mitgliederstark gewesen und wuchs immer noch weiter. Heute konnte sie jederzeit Dutzende, ja Hunderte Glaubenskrieger mobilisieren. Sie hatte ihn gewarnt, er solle sich um Himmels willen nicht der Illusion hingeben, ihre Gegner könnten immer so leicht zu erkennen sein wie in der vergangenen Nacht. Nach ihren Erkenntnissen musste man damit rechnen, dass die Beobachter am und im Bahnhof aussahen wie Geschäftsleute, Zugpersonal, Studenten, Schuhputzer, sogar Urlaubsreisende. Sie mussten auf jeden achten, der an Vorübergehenden mehr Interesse zeigte als normal. Der ganze Bahnhof wimmelte von Männern und Jungen, die sich an die Reisenden hefteten und ihnen
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